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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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langer brieflicher Erörterung zu mündlicher Besprechung an Ort und Stelle geladen. Ich glaube, der Hauptvorteil dieser Reise für Beidler bestand darin, daß sie ihm Gelegenheit bot, sich Zugang zu dem Archiv von Wahnfried zu verschaffen, der ihm zum Nachteil seines Buches bisher verschlossen gewesen war. Aber auch über den Plan des Stadtoberhauptes, die Liste der heranzuziehenden Personen, die Bildung eines Kuratoriums waren eingehende Verhandlungen gepflogen worden, und vor allem, indem er den Vorschlag fast zur Bedingung seiner Mitwirkung machte, war Beidler für meine Ehrenpräsidentschaft eingetreten, die er mir nun in seinem Briefe sehr ernstlich und herzlich antrug. Es war ein sonderbarer, phantastischer und in gewissem Sinn erschütternder Eindruck. Aus hundert Gründen, geistigen, politischen, materiellen, mußte die ganze Idee mir utopisch, lebensfremd und gefährlich, teils als verfrüht, teils als obsolet, von Zeit und Geschichte überholt erscheinen; ich war nicht imstande, sie ernst zu nehmen. Ernst nahm ich nur die Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, die sie mir aufregte, – Erinnerungen an meine lebenslange, in frühen Tagen durch Nietzsches faszinierte Kritik nur noch befeuerte und vertiefte Verbundenheit mit der Wagnerwelt, an die ungeheuren und in hohem Grade bestimmenden Wirkungen, die der zweideutige Zauber dieser {578} Kunst auf meine Jugend geübt. Schauerlich bloßgestellt durch die Rolle, die sie im nationalsozialistischen Staat gespielt, sollte sie nun in ihrer Reinheit (aber war sie je rein gewesen?) wiederhergestellt werden, und in später Wirklichkeit war mir eine Stellung amtlicher Repräsentanz in dem Mythos meiner Jugend zugedacht. Es war keine Versuchung, aber es war ein Traum, und wirklich wäre ich mit den letzten fünfzig Seiten des
Faustus
früher fertig geworden, wenn dies Irrlicht mir nicht tagelang vorgeschwebt und der ausweichend dilatorische Brief, der an Beidler zu schreiben war, mich nicht abgelenkt hätte.
    XLVII, das Kapitel der Versammlung und des Bekenntnisses, war am zweiten Tage des neuen Jahres auf gut Glück begonnen worden, und ich erinnere mich, daß ich am Abend dieses Tages Schuberts herrliches B-dur-Trio wieder einmal hörte, in Sinnen über den glücklichen Zustand der Musik, den es darstellt, über die Schicksale der Kunst seither, über das verlorene Paradies. Das Lesen von Prosa Mörikes begleitete die Arbeit, und besonders imponierten mir und erregten meinen Neid die
Heinzelmännchen von Stuttgart
durch die natürliche und scheinbar ganz unstudierte Handhabung des älteren Deutsch. In diesen Tagen geschah es, daß eine Annonce mir vor Augen kam, die mich, sehr unvernünftigerweise, geradezu ungeheuerlich und wie ein toller Irrtum anmutete. Aus Zürich traf Oprechts Sortimentskatalog ein, der, in klarem Druck, den
Faustus
mit vollem Titel und unter vorläufiger Angabe des Preises für den Leinenband als Novität anführte! Ich kann die Gefühle von Unglauben, Beklemmung, Erschrecken, wie über eine gutgemeinte, aber peinliche Indiskretion, nicht schildern, mit denen ich die Ankündigung las. Noch lag ich im Kampf mit dem Buch, und bis zum letzten Wort lebt man bei solcher Arbeit ja in der Vorstellung, daß entscheidende Schwierigkeiten noch zu überwinden sind und das Getane noch erst der Rettung {579} bedarf durch das Verbleibende. Als Fertigware in Leinen angeboten zu sehen, was mir so unfertig schien, wirkte als greuliche Voreiligkeit; außerdem aber, bei aller privaten Mitteilsamkeit darüber, die meine Erfülltheit sich von jeher gegönnt hatte, war mir der Gedanke des Öffentlichwerdens dieses Lebens- und Geheimwerks und seiner Allerweltsexistenz als Buch unter Büchern, noch immer in tiefster Seele fremd und unfaßbar und nicht schnell genug konnte ich mir den Katalog mit der chokierenden Anzeige aus den Augen schaffen.
    Ich brauchte siebzehn Tage für das vorletzte Kapitel – das letzte eigentlich, denn der Schluß sollte als Nachschrift gefaßt sein. Adrians Ansprache ging mir so nahe zu Herzen, wie sie mir tief vom Herzen kam, und nur die alte Gewohnheit, das Politische neben dem Dichterisch-Menschlichen hergehen zu lassen und zwischen den Sphären hin und her zu wechseln, macht mir begreiflich, daß ich dabei von Tagesereignissen Notiz nahm, wie dem Rücktritt des Byrnes als Minister des Auswärtigen und seiner Ersetzung durch den aus China herbeigerufenen General Marshall. Am Lauschen auf Nachrichten über Deutschland hinderte die
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