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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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Kömmling im Elfenreiz, steigerte eine Zärtlichkeit meines eigenen Herzens ins nicht mehr ganz Rationale, zu einer Lieblichkeit, welche die Leute heimlich an Göttliches, an ein von hoch- und weither zu Besuch Kommendes, eine Epiphanie glauben läßt. Vor allen Dingen: ich ließ den kleinen Boten seine wunderlichen Sprüche machen, wobei ich Stimme und Akzent des Enkelknäbchens im Ohr hatte, von dem wenigstens eines dieser kuriosen Worte, das »Gelt, da freust du dich, daß ich gekommen bin?« wirklich einmal gesprochen worden war. Der ganze Verwandlungs- und Erhöhungsakt, den ich vornahm, liegt beschlossen in der unirdischen Transparenz, die, wie von selbst, in der Dichtung dieses »gekommen« annimmt. Dabei berührte es mich träumerisch-eigentümlich, zu sehen, wie das Buch, das doch schließlich ein Buch vom Deutschtum ist, durch den Mund des Kindes und über das Schweizerische, eine sprachliche Vertiefung vom Barocken und Lutherischen noch weiter zurück ins Mittelhochdeutsche gewann. Für Echos Abendgebete, von denen niemand weiß, woher er sie hat, benutzte ich Sprüche aus
Freidanks Bescheidenheit
(13. Jahrhundert), die ich meist durch Umdichtung ihrer dritten und vierten Verse als Gebete adaptierte. Die modernen Verschen, die er weiß, schöpfte ich erinnerungsweise aus einem verschollenen Bilderbuch, an welchem ich selber als Kind gehan {571} gen. – Eifriger hatte ich, glaube ich, niemals gearbeitet. »Am Echo-Kapitel«, heißt es nun viele Tage lang. »Sehr beschäftigt schon morgens früh.« »Viel im
Tempest
.« »Unruhiger Schlaf durch abendliche Gedankenarbeit.« Dann, Anfang Dezember: »An Echos Todeskrankheit, mit Leide«. »Mit Leide!« Formelhaft wiederholt sich das nun. Das »göttliche Kind« sollte dem, der nicht lieben durfte, dem Mann der »Kälte«, genommen werden, das war längst verhängt und beschlossen. Durch genaue Information über die Krankheit, die dem Bösen zu seiner Untat dienen muß, hatte ich mich darauf vorbereitet. Es auszuführen, wurde mir bitter schwer, und als später in London die Übersetzerin mich allen Ernstes fragte: »How could you do it?«, antwortete ich ihr, sie möge aus Adrians Gebaren, aus seinem »Es soll nicht sein«, seinem Bruch mit der Hoffnung, seinem Wort von der »Zurücknahme«, – sie möge daraus ablesen, wie schwer es mir geworden. Ein Tag vor Mitte Dezember brachte die Notiz: »Das XLV. Kapitel beendet, wie es nun eben sein mußte«; der nächste die Anmerkung: »Früh erwacht, erregt von dem Stand des Buches, der beabsichtigten Mitteilung des Letztgeschriebenen, dem noch zu Tuenden.« Der Zwillingsbruder meiner Frau, Klaus Pringsheim, war vorigen Monat von Tokyo, wo er jahrelang als Dirigent der kaiserlichen Kapelle gewirkt hatte, mit seinem Sohn nach den Staaten gekommen und seit einigen Wochen unser Gast. In seiner und unseres Golo Gegenwart, der damals eine Professur für Geschichte in Pomona College übernahm, las ich eines Abends diese süße und schreckliche Episode, die dichterischste wahrscheinlich, zu der der Roman sich erhebt, mit einer Bewegung, die sich den Zuhörern sichtbarlich mitteilte. Wir sprachen lange über das ätherische und jammervolle Vorkommnis und sagten uns, daß man es der Mutter des wirklichen Kindes, das übrigens über Echos Alter schon kräftig hinaus war, so lange wie möglich vorenthalten müsse. –
    {572} Ein Werk der Kunst trägt man immer als Ganzes, und möge die ästhetische Philosophie auch wollen, daß das Werk des Wortes und der Musik, zum Unterschied von dem der bildenden Kunst, auf die Zeit und ihr Nacheinander angewiesen ist, so strebt doch auch jenes danach, in jedem Augenblick ganz da zu sein. Im Anfang leben Mitte und Ende, das Vergangene durchtränkt das Gegenwärtige, und auch in die äußerste Konzentration auf dieses spielt die Vorsorge fürs Zukünftige hinein. So war, während die Erzählung vom Kinde mich völlig einzunehmen schien, mein Augenmerk gleichzeitig doch schon auf das Nächstkommende, die Darstellung von Leverkühns zweitem Hauptwerk,
Dr. Fausti Weheklag
, gerichtet gewesen, und: »Exzerpte aus dem Volksbuch. Ideen zum Faust-Oratorium. Das Ganze chorisch, historisch bezogen auf das Lamento des 17. Jahrhunderts, Durchbruch aus der Konstruktion zum Ausdruck«, – das ist ein Eintrag aus den Tagen, in denen ich noch am ersten Echo-Kapitel schrieb. »Mit Adorno über die Kantate«, heißt es um dieselbe Zeit. »Adornos zum Abendessen. Ich las später im Studio das Gespräch
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