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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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in Pfeiffering und Rudolfs Tod. Der Vergleich mit
Parsifal,
in seinem Verhältnis zu allem Vorhergehenden, drängt sich mir immer wieder auf.« Und dann einer der tief aufsteigenden Ausrufe, wie sie in den Aufzeichnungen jener Jahre von Zeit zu Zeit begegnen: »Nie hat mich, dabei bleibt es, eine Arbeit so erregt und bewegt!« Die phantasiemäßige Realisierung des Werks der »Zurücknahme« war nun an der Tagesordnung, und ich erinnere mich wohl des ergiebigen November-Nachmittags, den ich in dieser dringlichen Angelegenheit bei dem musikalischen Freund und Adlatus verbrachte. Unser Gespräch ging zunächst über den vierten Band von Ernest Newmans großer Wagner-Biographie, den ich mir, wohl eben des
Parsifal
wegen, von Knopf erbeten hatte, und mit dessen psychologischer Erklä {573} rung von Nietzsches Bruch mit Wagner (er wird auf gewöhnliche Eifersucht, und sogar einfach gesellschaftliche, zurückgeführt) ich recht unzufrieden war. Dabei spricht Newman von Wagner als Denker oft nicht respektvoller als von Nietzsche, verzeiht aber jenem alles um der Werke willen – als ob die nichts mit dem Denken zu tun hätten. Übrigens nennt er seinen Helden einmal »a born amateur« – und versteht nicht, daß gerade diese Natur, das damit verbundene autoritäre Mitreden über alles und jedes, die namenlose Unbescheidenheit, die diejenige Hitlers vorwegnimmt, Nietzschen auf die Nerven ging. Die Kennzeichnung, nebenbei, konnte mir recht sein. Welches Ärgernis hatte ich aufgeregt, als ich in
Leiden und Größe Richard Wagners
den Mann des »Gesamtkunstwerks« einen genialen Dilettanten genannt hatte! Nun bestätigte das der Vier-Bände-Biograph mit seinem unerschrockenen Wort vom geborenen Amateur. – Genug davon. Wir gingen zu der Kantate über, für die der »Wirkliche Geheime Rat«, wie ich ihn in der Zueignung des ausgedruckten Buches nannte, sich mancherlei Zuträgliches ausgedacht hatte. Und doch bin ich versucht, zu sagen, daß sein Hauptverdienst um das Kapitel nicht im Musikalischen, sondern auf dem Gebiet der Sprache und ihrer Nuancen liegt, wie sie, ganz zuletzt, ein Moralisches, Religiöses, Theologisches umwerben. Als ich nämlich, nach vierzehntägiger Arbeit daran, mit dem Abschnitt fertig war, oder damit fertig zu sein glaubte, gab ich ihn Adorno eines Abends bei mir im Zimmer zu hören. Er fand im Musikalischen nichts zu erinnern, zeigte sich aber grämlich des Schlusses wegen, der letzten vierzig Zeilen, in denen es nach all der Finsternis um die Hoffnung, die Gnade geht, und die nicht dastanden, wie sie jetzt dastehen, sondern einfach mißraten waren. Ich war zu optimistisch, zu gutmütig und direkt gewesen, hatte zu viel Licht angezündet, den Trost zu dick aufgetragen. Die Beden {574} ken, die mein Kritiker dagegen erhob, mußte ich als nur zu berechtigt anerkennen. Am nächsten Morgen gleich setzte ich mich zur gründlichen Überholung der anderthalb oder zwei Seiten nieder und gab ihnen die behutsame Form, die sie jetzt haben, fand erst jetzt die Wendungen von der »Transzendenz der Verzweiflung«, dem »Wunder, das über den Glauben geht« und die vielzitierte, beinahe in jeder Besprechung des Buches vorkommende, versartige Schlußkadenz mit der Sinnverkehrung ausklingender Trauer zum »Licht in der Nacht«. Erst Wochen später, wieder einmal bei Adorno, las ich ihm das Abgeänderte und fragte, ob es nun recht sei. Statt aller Antwort rief er seine Frau, sie müsse das auch hören. So las ich die beiden Blätter noch einmal, blickte auf – und brauchte nicht weiter zu fragen. –
    Weihnachten 1946 war schwül, der Himmel zum Regnen geneigt. Am 23., noch mit der Kantate beschäftigt, dachte ich lebhaft zurück an die Kindheit, wo schon an diesem Abend Bescherung im Elternhaus war, da der Heilige Abend selbst der frommen und prächtigen Feier im großmütterlichen Hause vorbehalten blieb, dessen Ruine, die allein stehen gebliebene Fassade mit leeren Fensterhöhlen, ich nun so oft im Bilde sah. Bei schon geschmücktem Baum hörten wir im Radio Händels
Messias
. – Ich las Nietzsches
Ecce homo
wieder in diesen Tagen, offenbar zur Vorbereitung auf die Schlußabschnitte des Romans, las auch, nachdem das Buch mir viele Jahre verloren gewesen, in Joëls
Nietzsche und die Romantik
, aus dem ich als Jüngling viel gelernt, und das ich antiquarisch wieder erworben hatte. Dieterles waren eben aus Europa, aus dem zerschmetterten Deutschland zurückgekehrt, schilderten das Elend, den Übelgeruch von
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