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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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Städten und Leuten und berichteten bitter von dem Wohlleben der in Lagern verwahrten SS.-Mannen, deren Verpflegung der amerikanischen gleich {575} gestellt war, und die Sonnenbäder nahmen. Der Weihnachtsabend entbehrte der Enkelkinder diesmal; wir telephonierten mit Erika und Klaus in New York, mit den Kindern in Mill Valley, mit Frido. Die »Neunte Symphonie« erklang, sehr passend zu meiner Beschäftigung, beim Abendkonzert. Nie hatte ich das Scherzo und das Adagio mehr bewundert – und brachte wieder einmal keine Liebe auf für den verzettelten letzten, den Variationensatz. Ich arbeitete an dem Roman jeden Vormittag und las Dostojewskys
Aus einem Totenhaus
wieder durch in den letzten Tagen des Jahres. Es regnete schwer. Das Treiben des »Committee on Un-American Activities«, das sich eben gegen die offenbar kommunistisch verseuchte Library of Congress wandte, bedrückte und empörte mich. Dr. Hermann Rauschning und seine Frau waren kurz vor Jahresende bei uns zum Abendessen. Das Gespräch war politisch: Nach seiner Meinung waren die Deutschen als Volk nicht mehr möglich; was bleibe, sei der Deutsche als Individuum. Wünschenswert schien ihm eine europäische Föderation mit Einschluß der deutschen Einzelländer unter Verzicht auf den Reichsnamen. – Zu Sylvester, einem hellen, windigen Tag, war ich mit dem XLVI. Kapitel noch immer nicht völlig zu Rande gekommen. Golo führte uns abends den jungen Eysoldt zu, Sohn jener Gertrud Eysoldt, die in meiner Jugend als Wedekinds Lulu bei Reinhardt so unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht. Die jungen Leute erbaten eine Vorlesung, und ich las von Adrians Ärzten und aus seinem Gespräch mit dem Teufel. Die Unterhaltung hernach kam auf Hugo Wolf und wie er sich (was mir neu war) bei einem einmaligen Besuch im Bordell, von einem Mädchen, das sein dort klavierspielender Freund ihm abgetreten, die »Franzosen« geholt. –
    Der Neujahrstag 47, an dem ich morgens das Kantatenkapitel, noch unrichtig, abschloß, brachte mir eine wahre Her {576} zensfreude. Ich hatte einige Tage vorher an Erika die ihr noch unbekannten Teile des Manuskripts, wohl zehn Kapitel, zur Kontrolle nach New York geschickt und fand nun bei der Rückkehr vom Spaziergang zu meinem gelinden Schrecken die Meldung von einem Telegramm vor, »not to be telephoned«. Es wurde geholt und lautete: »Read all night. Shall go into newyear reddened eyes but happy heart. Wondering only how on earth you do it. Thanks, congratulations etc.« Wie lächelnd saß diese so charakteristische Äußerung des treuen Kindes um mein Herz! Ich hatte wohl gewußt, daß sie über Echo weinen würde; es war aber dabei, wie sie mir bald erzählte, viel lebenskomischer zugegangen, als ich es mir gedacht. Sie hatte sich nämlich, dem Jahreswechsel zu Ehren, nach durchlesener Nacht in die Pflege eines »beauty shop« begeben, und nachmittags, beim Lesen der Echo-Kapitel, war das ganze kunstvolle make-up, Wimperntusche und alles, von Tränen verschwemmt, ihr schwärzlich übers Gesicht geflossen. – Die innerdeutsche Ausgabe von
Lotte in Weimar
nicht zufällig wohl und mit meinem Einverständnis das erste meiner Bücher, das in Deutschland selbst wieder angeboten wurde, traf auch ein an diesem Tage. Wir verbrachten den Abend mit Chaplins, Dieterles, Feuchtwangers, Hans Eisler im Hause des Philosophen Dr. Weil und seiner amerikanischen Frau, und wieder einmal hatte ich mit Eisler einen jener aus Enthusiasmus und Bosheit gemischten Diskurse über Wagner, die mich so sehr amüsierten. Beinahe damit zusammen aber traf ein mit dokumentarischen Beilagen versehener Brief, den ich aus Bayreuth von Dr. Franz Beidler, dem Enkel Wagners und von Angesicht ihm unheimlich ähnlich, erhielt, und der mich tagelang problematisch beschäftigte. Ich kannte Beidler, der 1933 Deutschland verlassen hatte, schon aus Berliner und Münchener Tagen, und in Zürich dann hatte er mit seiner Frau {577} freundschaftlich in unserem Hause verkehrt, uns auch ein paarmal aus den Anfängen seines, wohl heute noch nicht vollendeten Buches über seine Großmutter Cosima, eines recht kritischen Buches, versteht sich, vorgelesen. Nun hatte der Bürgermeister von Bayreuth, ehrgeizig für seine Stadt, sich wegen der Neu-Organisation des Wagner-Theaters, der Wiederaufnahme der Festspiele »in demokratischem Geist« an ihn gewandt, ihm, der zu Hitler-Bayreuth und dem Régime seiner Tante in strikter Opposition gestanden, die Oberleitung angetragen und ihn nach
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