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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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Exkommunikation, meinen Landsleuten und der Welt zu sagen gehabt hatte, der »Bonner Brief« also, durch {568} diesen restituierenden Akt gottlob nicht aus der Welt komme … Ich erhielt denn auch binnen kurzem das mir längst verlorengegangene, feierlich latinisierende Diplom vom Jahre 1919, gleich in zwei Exemplaren, begleitet von sehr herzlichen Briefen des Rektors und des Dekans, wieder zurück. – Ein von dem Ausgang der Wahlen, dem Weg, welchen sein Land eingeschlagen, leidenschaftlich erschütterter junger Student aus Chicago, Mitglied einer Vereinigung zur Propagierung des World Government Gedankens, saß eines Septembernachmittags bei mir zu langem Gespräch, bei dem die Drohung der Atombombe und die Unerläßlichkeit internationaler Kontrolle ganz in dem Sinn erörtert wurde, in welchem einige Wochen später die Proklamation Einsteins und sieben anderer Physiker sich über diese Schicksalsfrage aussprach. Der junge Mensch drang in mich, nach Chicago zu kommen und für seine Organisation über die Notwendigkeit der Errichtung einer Welt-Autorität zum Schutze des Friedens zu sprechen. Unmöglich konnte ich ihm die Reise zusagen, aber ich versprach ihm ein »statement«, oder, wie man im Deutschen feierlicher sagt: eine Botschaft über den Frieden als höchstes Gebot und die Verdichtung der Utopie zum praktischen Lebenserfordernis und unterbrach mich auch wirklich im laufenden Kapitel, um dieser fühlenden Jugend Wort zu halten, – überzeugt natürlich, daß mein Bekenntnis noch prompter und lautloser vom Wogengang des Verhängnisses werde verschlungen werden als das Manifest des großen Gelehrten.
    »Musical Quarterly« zeigte sich erkenntlich für den jüngst gelieferten Beitrag mit einem kuriosen Buchgeschenk, das Faksimile-Reproduktionen darbot in Amerika befindlicher Briefe Beethovens. Ich sah sie lange an, diese hingewühlten und -gekratzten Züge, diese verzweifelte Orthographie, diese ganze halbwilde Unartikuliertheit – und konnte »keine Liebe« dafür {569} finden in meinem Herzen. Goethes Ablehnung des »ungebändigten Menschen« war wieder einmal mitzufühlen, und wieder einmal legten Grübeleien über das Verhältnis von Musik und Geist, Musik und Gesittung, Musik und Humanität sich nahe. Hat das musikalische Genie überhaupt nichts mit Humanität und »verbesserter Gesellschaft« zu tun? Arbeitet sie ihr vielleicht geradezu entgegen? Aber Beethoven war ein Mann des
Glaubens
an revolutionäre Menschenliebe, und französische Literaten haben ihm mit Verachtung vorgeworfen, er führe als
Musiker
die Sprache eines radikalen Ministers … Die Franzosen sind Ästheten, man sage, was man wolle. Ich überzeugte mich aufs neue davon durch den Vergleich zweier Bücher, eines deutschen und eines französischen, die meine eigene Arbeit zum Gegenstand haben und in jenem Herbst fast gleichzeitig zu mir gelangten. Der Titel des französischen (Verfasser: Jean Fougère) verbindet meinen Namen mit der Idee der »Séduction de la Mort«, das deutsche dagegen, von Arnold Bauer, in der Ostzone erschienen, spricht von meinem Werk im Zusammenhang mit der »Krisis der bürgerlichen Kultur«. Glaubt der französische Geist überhaupt an diese Krisis? Wie schon nach dem ersten Weltkriege, scheint mir, überläßt er es den Deutschen, »Apokalypsen zu träumen« und interessiert sich weit mehr für solche Schönheiten, wie die »Verführung durch den Tod«. Daß der deutsche Geist metaphysisch sei und der französische sozial, hat auch nur bedingte Richtigkeit. –
    Eines Zusammenseins mit Schönberg bei uns ist in jenen Tagen gedacht und soll hier gedacht sein, bei dem er mir von seinem neuen, eben vollendeten Trio und den Lebenserfahrungen erzählte, die er in die Komposition hineingeheimnist habe, deren Niederschlag das Werk gewissermaßen sei. Er behauptete, er habe darin seine Krankheit und ärztliche Behandlung samt »male nurse« und allem übrigen dargestellt. Übri {570} gens sei die Ausführung äußerst schwierig, ja fast unmöglich, oder nur für drei Spieler von Virtuosenrang möglich, dabei aber sehr dankbar vermöge außerordentlicher Klangwirkungen. Die Verbindung »Unmöglich, aber dankbar« nahm ich in das Kapitel von Leverkühns Kammermusik hinein. – Ein Fragebrief an den Arzt Dr. Rosenthal wegen des Ablaufs der Hirnhautentzündung ging Ende Oktober ab. Das erste Echo-Kapitel (XLIV) war Anfang November begonnen worden. Ich schrieb nun Tag für Tag daran fort. Ich schilderte den zarten
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