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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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gehen.
    Das Violin-Konzert betreffend, Adrians hybrides Geschenk an die Zutraulichkeit, so hatte ich von dem Stück schon ein {561} seiner eigentümlichen seelischen Bedeutung leidlich entsprechendes Bild gegeben, als Adorno sich danach erkundigte. »Jenes Konzert, von dem Sie sprachen, ist es eigentlich schon geschrieben?« – »Ja, so ziemlich.« – »Nein, erlauben Sie, das ist wichtig, wir müssen da sehr akkurat sein!« Und nach wenig Worten war der von mir nur ungefähr ausgehörten Imagination, dieser »Parodie des Hinreißenden«, das technische Rückgrat verliehen.
    Kapitel XXXVIII war in zwölf Tagen getan, und am übernächsten Tag nach dem Abschluß begann ich das folgende, das, anfangs in Zürich spielend, Marie Godeau in den nun immer romanhafter, das heißt dramatischer werdenden Roman einführt. Diesen Abend waren wir zur Feier von Walters Geburtstag bei Alma Mahler-Werfel, zusammen mit Arlts, Fritzi Massary und Oskar Karlweis. Eine Grillparzer-Ausgabe für die Bibliothek seines neuen Hauses in Beverly Hills war unser Geschenk an den Jubilar, der sich zu seiner ersten Europa-Reise nach dem Kriege anschickte. Nach Tische las ich dem Kreise, zur Rührung des alten Freundes, meinen Beitrag für »Musical Quarterly« auf deutsch vor und überreichte ihm die Handschrift in einer Kassette. Schließlich gab ich ihm nicht mehr, als ich von ihm empfangen, denn meine kleine Arbeit paraphrasierte im Grunde nur seine Lebenserinnerungen,
Thema mit Variationen
, die eben, auf englisch zunächst, erschienen waren, und in denen er auch unserer ersten Bekanntschaft und Nachbarschaft im Münchener Herzogpark so freundlich gedenkt. – Der Abend gewann große Heiterkeit durch Karlweis, den berühmten »Prinzen Orlowsky« in Reinhardts Inszenierung der
Fledermaus
, – durch die Spenden seiner komischen Begabung, die hervorragend ist. Er hat seine unbezahlbare Privat-Nummer, die Copie des Wiener Schauspielers Moser, ein populär geschwätziges Bravourstück von annähernd zehn Minuten {562} Dauer, worin es hauptsächlich darum geht, daß »der Schilling sich in New York befindet, und daß dies das Ölend ist«. Wer es gehört hat, kennt die Tränen, die wir vergossen. Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich für solche Geschenke einer echten »vis comica« bin. Eine Gesellschaft, die einen ihrer Träger und Virtuosen einschließt, ist geborgen, – mir jedenfalls ist geholfen, wenn einer da ist, denn meine Bewunderung für die gut sitzende Parodie, das komische Können ist ungemessen, und ich werde des Genusses nicht müde. Das ist die Freude, mit der ich Charlie Chaplin auf einer »party« begrüße. Seine mimische Produktivität, von größter Grazie und Treffsicherheit wie sie ist, pflegt ihn sehr bald zum Mittelpunkt des Kreises zu machen, und der Abend ist glorreich gerettet. Wir trafen ihn auch zu jener Zeit öfters, bei Salka Viertel etwa, oder bei Florence Homolka, und unvergeßlich ist mir – zum Beispiel – die Schilderung seines Jugenderfolges, die er einmal bot, die Beschreibung einer Reise von Hollywood nach New York, die er, seines schon ungeheuren Ruhmes noch unbewußt, unternahm, und der phantastischen Situationen, in die diese uferlose und wilde Popularität ihn brachte. Es war ein Meisterstück grotesk darstellender Erzählung. Dieser selbe geniale Clown aber hörte, das will ich nicht auslassen, mit gespannter Aufmerksamkeit zu, als ich ihm auf sein Befragen einiges von meiner Arbeit, dem sich gegen sein Ende neigenden Roman, berichtete, von dem er gehört hatte. »That’s fascinating!« sagte er. »That may happen to be your greatest book.« –
    In den zwanziger Tagen des August, als ich mit notierenden Vorbereitungen zu dem Drama Adrian-Marie-Rudi-Ines beschäftigt war, einem richtigen »plot«, das sogar den Eclat eines Eifersuchtsmordes mit sich bringt, gab es verschiedentlich Besuch: Medi Borgese traf mit ihren beiden englisch redenden Töchterchen zu einigem Aufenthalt bei uns ein, und meine {563} Freude an diesen reizvollen Enkelkindern war nicht weniger lebhaft, wenn auch weniger unmittelbar, als die an den Schweizer Bübchen: die Ältere ein zierliches Mittelmeer-Prinzeßchen von unterhaltender Intelligenz, die Kleinere, Dominica, dem Vater noch ähnlicher, schwarzäugig, mit dem Gesicht eines sizilianischen Bauernkindes, putzig, dabei aber von einem eigentümlichen, bei Kindern selten zu findenden Würdegefühl. Sehr schlecht erträgt sie es, wenn die Erwachsenen über sie lachen,
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