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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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er nicht hatte sein wollen. Sie schwebten mir schmerzlich vor bei der Nachricht von seinem Hinscheiden, und meine Trauer nährte sich von dem Gefühl, daß wir bei aller Verschiedenheit unserer Naturen, und wie weit Leben und Geschehen uns auch auseinander geführt, etwas wie Freunde gewesen waren. Ich leugne nicht das Gran Ironie, das meiner Bewunderung für ihn beigemischt war; aber wie diese Bewunderung dennoch von Herzen kam, so schätzte er wohl die Wohnung, die ich einnahm »in unseres Vaters Hause«, und hat über die Persiflage der »Persönlichkeit«, die ich mir im
Zauberberg
erlaubte, das Symbol majestätischer Unzulänglichkeit, das ich nach seinem Bilde darin aufgerichtet, trotz allen Klatsches, der ihn mit der Nase darauf stoßen, ihn gegen mich aufbringen wollte, mit großartiger Duldsamkeit hinweggesehen. 1925 schrieb er öffentlich über das Buch in hohen Worten; und daß mir 1929 der Nobelpreis zufiel, war nicht zuletzt und vielleicht vor allem sein Werk. Er rief mich in München aus Schreiberhau an, um mir zu berichten, er habe soeben mit dem Kingmaker in Stockholm, Professor Böök von der Schwedischen Akademie, gleichfalls telephonisch, eine entscheidende Unterredung gehabt, er freue sich, der erste Gratulant zu sein. Ich antwortete ihm, die Auszeichnung solle mir desto lieber sein, je mehr ich sie ihm zu verdanken hätte … Freunde, aber auf formellem Fuß standen wir stets miteinan {557} der. Der eigentümlich-komischste Augenblick unseres Umganges war es, als er im Begriffe war, mir das Du anzubieten – und dann doch davon abstand. Er hatte wohl etwas getrunken und fing an: »Also … Beachten Sie wohl … Gut!…
Wir sind doch Brüder,
nicht wahr?… Sollten wir folglich nicht … Gewiß … Aber lassen wir das!« Es blieb beim Sie. Und doch; wen in der Runde hätte er sonst wohl seinen Bruder genannt? –
    Nur langsam erholten sich meine Nerven; aber was mir in Jahr und Tag nicht mehr gelungen war, das ging nun mühelos vonstatten: Jede Woche, ohne Rückschlag und Stillstand, zeigte die Waage eine Gewichtszunahme von anderthalb bis zwei Pfund. Operativen Eingriffen folgt ja oft solch ein biologischer Auftrieb. Hilfreich dabei war vielleicht auch ein Wundermittel jüngster russischer Erfindung, das Dr. Rosenthal mir einige Male injizierte, und das mir übrigens einen schlimmen Arm mit juckender Rötung machte. Das Tagebuch nimmt Notiz von »entschiedensten psychologischen und technischen Kriegsvorbereitungen hierzulande«, aber Hand in Hand damit, unbekümmert, geht das Vermerken gleichmäßiger Fortschritte in dem Roman, der Mitte Juli bis zum XXXVII., dem Fitelberg-Kapitel, oder der Stoffsammlung dafür, gediehen war. Die Figur des internationalen Agenten, die symbolische Szene der Versuchung der Einsamkeit durch die »Welt« waren von langer Hand her vorgesehen, und die Idee, den amüsanten Versucher ganz allein reden zu lassen, unter bloßer Andeutung der Reaktionen seiner Unterredner, bildete sich beim Zusammentragen des Gesprächsmaterials gleich heraus. Was mir noch fehlte, was ich so recht nicht mit Augen sah, war die Person, die Erscheinung des Mannes selbst; aber auch ihretwegen war mir geholfen, als der Augenblick des Weiterschreibens gekommen war: Eines Morgens beim Frühkaffee in meinem Schlafzimmer sprach ich meiner Frau von dieser kleinen und doch be {558} schwerenden Sorge, die mich an die fernen Tage in Bozen erinnerte, als ich ratlos war, wie aus Mynheer Peeperkorn etwas Pittoreskes zu machen sei, – und die Befragte wußte Rat. Ungefähr, meinte sie, sei der Typ doch zur Hand, ich brauchte mich nur in allgemeinen Zügen an unseren alten Freund in New York, den ehemals in Paris tätigen Literatur- und Theateragenten S. C. (der freilich der Musik ferne stand) zu erinnern, um für den »Weltmann« ein Gesicht zu haben. Sehr gut! Natürlich, das war er. Wie hatte ich nur daran nicht denken können! Auf geistige, steigernde Art nach der Natur zu arbeiten, ist das Allervergnüglichste, und der Klage über Unähnlichkeit würde ich schon, wie Liebermann, mit der Antwort begegnen können: »Das ist ähnlicher als Sie selbst!« – Von da an ist stehende Notiz: »An XXXVII«, »An Fitelberg den ganzen Tag«, und obgleich ich zwischendurch einige Tage an einen Artikel wendete, den »Musical Quarterly« zu Bruno Walters 70. Geburtstag bestellt hatte, und dem ich die Form eines freundschaftlichen Briefes gab, konnte ich doch Mitte August, wenig mehr als drei Wochen nach dem
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