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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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und wendet sich dann an ihre Mutter mit der empfindlichen und fast strengen Frage: »Why do they laugh?«, so betont, als wollte sie sagen: »Habe ich mich irgendwie lächerlich benommen?« Man kann darauf nicht genug versichern, daß die Heiterkeit nicht als Auslachen gemeint war, und daß man ihre kleine Person durchaus ernst nimmt. – Ferner ereignete sich, merkwürdig genug, ein Wiedersehen mit der Epoche des Hospitals, einem ihrer markanten Gesichter: Professor Bloch aus Chicago und seine Frau waren unsere Gäste; er kontrollierte die Narbe, die Verwachsungen und fand mich in der befriedigendsten Verfassung. Wirklich hielt die Gewichtszunahme beständig an, obgleich gerade damals, bald nach Blochs Besuch, ein Übel mich befiel, das ich vor Jahren in Zürich, nach einer Kopfrose, also auch nach längerer Bettlägerigkeit, schon einmal, aber in milderem Grade, erprobt hatte: ein außerordentlich quälendes, die Nächte gründlich verderbendes, juckend-entzündliches Hautleiden, das Anfang September einsetzte und, oft eine unleidliche Irritation erzeugend, bis tief in den Oktober hinzog. Es ist bekannt, wie schwer diesen halb nervösen (aber freilich auch sehr realen) Affektionen ärztlich beizukommen ist, wie etwa Röntgen-Bestrahlung oder auch anästhetisierende Mittel unter Umständen mehr schaden als bessern; aber ich wandte mich doch um Hilfe von einem Doktor zum anderen, an amerikanische und deutsche, {564} die alle versagten, ja bei dem besten Willen geradezu Unheil anrichteten. Ein sonderbares Vorkommnis dieser Leidenswochen, das mich etwas an Adrians fehlschlagende Doktor-Besuche in Leipzig erinnerte, war dies, daß ich eines Tages das Medical Building in Beverly Hills, wo der Mann, auf den ich gerade meine Hoffnungen setzte, seine Praxis hatte, über Nacht ausgebrannt und unbetretbar vorfand, – es war da nichts mehr als geschwärztes, mit Wasser begossenes Mauerwerk, Schmutz und Öde, – und vielleicht war es mein gutes Glück, daß durch höheres Walten eine dieser gutgemeinten und an sich wahrscheinlich ganz kunstgerechten, mir aber nun einmal schädlichen Behandlungen beizeiten abgeschnitten wurde. Schließlich landete ich bei einer mausäugigen kleinen russischen Jüdin im tiefsten Los Angeles, zu der freilich der Weg eine Reise, und die so überbeschäftigt und mit ihrer Zeittafel in so heilloser Unordnung war, daß man stundenlang bei ihr warten mußte, die aber ihre Sache, gerade diese, aus dem Grunde verstand, sofort Linderung schuf und mich im Lauf von ein paar Wochen kurierte.
    »Auch ungeschlafen werde ich arbeiten«, heißt es einmal trotzig im Tagebuch; und es ist wahr, selbst zu ihrer schlimmsten Zeit vermochte die Plage dem Fortschreiten des Romans nichts anzuhaben. Zu voll war ich von meiner so weitgehend schon erfüllten Aufgabe und zu sicher jetzt in dem, was ich tat. Einen Tag oder zwei unterbrach ich mich gegen Ende September, um für Bohuš Beneš, einen Neffen unseres Freundes und Gönners, des Präsidenten, ein Brief-Vorwort zu seinem in England erscheinenden Roman
God’s Village
zu schreiben; dann fuhr ich Morgen für Morgen fort, meinen Faden zu spinnen, das mythische Drama von der Frau und den Freunden in unheimlich spezieller Abwandlung sich ausspielen zu lassen: erzählte von Adrians Kundgebung seiner Heiratswünsche, von {565} dem winterlichen Gesellschaftsausflug ins bayerische Gebirge, schrieb den Dialog zwischen Adrian und Schwerdtfeger in Pfeiffering (Kap. XLI), eine enigmatische Sonderbarkeit, hinter der das Teuflische lauert, und während deren Abfassung es im Tagebuch zu wiederholten Malen heißt: »Las Shakespeare«, – fügte die der Verlobung vorausgehenden Szenen zwischen Rudi und Marie an und führte nach Mitte Oktober mit Leichtigkeit (wie leicht ist das Katastrophale!) Kapitel XLII, den Mord in der Trambahn, zu Ende. Als ich einige Tage später diese Abschnitte bei Neumanns in Hollywood vorlas, erinnerte ich mich, wie weit zurück in meinem Phantasieleben die Idee des elektrischen Feuers reicht, das unter den Rädern und an der Kontaktstange eines herankommenden Trambahnwagens zuckt und zischt, worin ein Mord begangen werden soll. Die Vorstellung gehörte zu den uralten, nie ausgeführten Romankonzeptionen, die ich zu Anfang dieses Referates erwähnte. An fünfzig Jahre hatte ich die Vision dieser »kalten Flammen« mit mir herumgetragen, bevor ich sie nun in einem Spätwerk, das aus der Gefühlswelt jener frühen Tage manches aufgenommen hat,
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