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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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lebenden Großeltern mitgebracht hatten; übermüdet greinende Kleinkinder; zerbrechliche ältere Damen,die größere Männer baten, ihr Handgepäck für sie aus der Gepäckablage zu holen. »Es ist der rote Koffer dort drüben . . .«
    Aber der Gang des Flugzeugs lag ebenso still und verlassen da wie das Cockpit. Angela konnte den ganzen Innenraum überblicken und keine Menschenseele war zu sehen, nicht eine Stimme antwortete ihr.
    Erst dann fiel ihr Blick auf die Sitze. Es waren zwölf Reihen mit jeweils zwei Sitzen auf der linken und einem auf der rechten Seite des Ganges. Angela ging bis ganz nach vorn und sah auf jeden einzelnen. Die sechsunddreißig Sitze des Flugzeugs waren allesamt besetzt.
    Auf jedem von ihnen befand sich ein Baby.

DREIZEHN JAHRE SPÄTER

Eins
    »Du siehst deiner Schwester gar nicht ähnlich«, sagte Chip und dribbelte den Basketball flach über die Auffahrt.
    Jonas wartete mit der Antwort, bis er mit der Hand dazwischengefahren war und ihm den Ball abgeluchst hatte.
    »Adoptiert«, sagte er und warf den Ball in Richtung Brett. Doch der Winkel stimmte nicht und der Ball prallte am Korb ab.
    »Echt? Du oder sie? Oder ihr beide?«, fragte Chip und holte sich den Rebound.
    »Ich«, sagte Jonas. »Nur ich.« Dann schielte er zu Chip hinüber, um zu sehen, ob ihm das etwas ausmachte. Jonas machte es nichts aus. Er hatte immer gewusst, dass man ihn adoptiert hatte, und soweit es ihn betraf, war das nicht wesentlich bedeutsamer als die Tatsache, dass er am liebsten Schokoladeneis mit Pfefferminzstückchen aß, während Katherine Orangensorbet lieber mochte. Aber andere Leute benahmen sich manchmal komisch deswegen.
    Chip hatte eine Augenbraue hochgezogen und sah aus, als verarbeite er die Information noch. Jonas nutzte die Gelegenheit, um ihm den Ball wieder abzunehmen.
    »He, wenn ihr also keine Blutsverwandten oder so was seid, könntest du dann auch mit ihr gehen?«, fragte Chip.
    Jonas fiel fast der Ball aus der Hand.
    »Gott –
nein !«
, sagte er. »Das ist ja krank!«
    »Warum?«, fragte Chip.
    »Weil sie meine Schwester ist! Bah!« Hätte Chip ihm diese Frage ein paar Jahre früher gestellt, hätte Jonas noch hinzugefügt: »Außerdem hat sie die Seuche!« Aber Jonas war jetzt im siebten Schuljahr und in der Siebten hängten Jungs den Mädchen keine Seuchen mehr an. Außerdem hatte Jonas Chip vor ein paar Jahren noch gar nicht gekannt. Chip war erst vor drei Monaten, im Sommer, in die Nachbarschaft gezogen. Es war noch nicht oft geschehen, dass er vorbeikam, um Basketball zu spielen.
    Vorsichtig begann Jonas wieder zu dribbeln.
    »Wenn du glaubst, Katherine und ich würden uns nicht ähnlich sehen, müsstest du meine Kusine Mia sehen«, sagte er.
    »Warum?«, fragte Chip. »Sieht sie vielleicht
noch
besser aus als Katherine?«
    Jonas verzog das Gesicht.
    »Sie ist erst vier!«, erklärte er. »Und sie ist Chinesin.Mein Onkel und meine Tante mussten nach Peking fahren, um sie zu adoptieren.«
    Er erinnerte sich noch gut daran. Während seine Tante Joan und Onkel Brad sich darauf vorbereitet hatten, Mia zu adoptieren – Formulare ausfüllten, Visaanträge stellten, Termine aus dem Kalender strichen und sich neue Kalender kauften, um noch mehr Termine auszustreichen –, hatten seine eigenen Eltern ihn immer wieder in die Arme genommen und erklärt: »Wir hatten solches Glück, dich zu bekommen! Was für ein Wunder!«
    Katherine war eifersüchtig gewesen.
    Jonas sah sie noch in der Küche stehen mit ihren fünf oder sechs Jahren, die kurzen blonden Rattenschwänze standen ihr wie Pinsel vom Kopf ab, und mit verdrossenem Gesicht maulen: »Und was ist mit mir? Hattet ihr mit mir kein Glück? Bin ich denn kein Wunder?«
    Mom hatte sich gebückt und sie geküsst.
    »Natürlich bist du auch ein Wunder«, sagte sie. »Ein großes Wunder. Aber wir konnten uns neun Monate lang darauf freuen, dass du kommst. Bei Jonas dachten wir, dass es viele, viele Jahre dauern würde, ehe wir ein Baby bekommen, und dann kam aus heiterem Himmel dieser Anruf.«
    »Eine Woche vor Weihnachten«, fügte Dad hinzu.
    »Und man sagte uns, dass wir ihn sofort haben können. Er war ja so niedlich mit seinen grünen Augen, den Grübchen und den vielen braunen Haaren.«
    »Und ein Jahr später kam unsere süße kleine Katherine.« Dad legte den Arm um sie, zog sie an sich und drückte sie, bis sie kicherte. »Und dann hatten wir einen Jungen und ein Mädchen und fühlten uns wie die glücklichsten Menschen der Welt, weil
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