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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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keine passende Retourkutsche einfiel.
    »Willst du nicht rauskommen und mit uns Basketball spielen, wenn du fertig bist?«, fragte Chip, als sie gerade die Tür hinter sich zumachen wollte.
    Katherine legte den Kopf schief und überlegte. Jonasvermutete, dass sie sämtliche Optionen durchging:
ein Siebtklässler, der Interesse zeigte, plus eine Chance, den großen Bruder auf die Palme zu bringen, plus eine Möglichkeit, anzugeben.
(Für ein Mädchen spielte Katherine ziemlich gut Basketball.) Jonas schien das eine klare Sache zu sein. Aber Katherine schüttelte den Kopf.
    »Nein danke. Ich hab mir gerade die Fingernägel lackiert«, sagte sie und schloss die Tür.
    Chip stöhnte.
    »Sag mal«, sagte er, »sie ist doch deine Schwester. Spielt sie gern die Unnahbare?«
    »Was weiß ich«, sagte Jonas, der mit den Gedanken ganz woanders war.
    Bis zum Abendessen hatte Jonas sich erfolgreich eingeredet, dass Tony McGilicuddy, Jacob Hanes und Dustin Cravers ein Haufen Idioten waren und dass es ihn nicht kümmerte, was sie dachten oder taten. Sie konnten ihm mit ihren blöden Briefen den Buckel runterrutschen. Er stach mit der Gabel in den Kartoffelbrei und genoss das Geräusch der metallenen Zinken, die über den Tellerboden kratzten. Er achtete nicht weiter auf das Gespräch zwischen seinen Eltern und Katherine; es ging um irgendeine Markenjeans, die alle beliebten Mädchen in der sechsten Klasse trugen.
    »Aber Liebes, du bist doch auch beliebt und hast keine von diesen Jeans, also kann es gar nicht sein, dass alle beliebten Mädchen eine haben«, argumentierte seine Mutter.
    »Mom, bitte«, sagte Katherine.
    In diesem Moment klingelte es an der Haustür.
    Einen Moment lang erstarrten alle, Dad und Jonas mit vollen Gabeln vor dem Mund, Mom und Katherine mitten in ihrem Disput. Wieder klingelte es, das drängende Schellen hörte gar nicht mehr auf.
    »Ich gehe schon«, sagte Jonas und stand auf.
    »Egal, wer es ist, sag, sie sollen später wiederkommen. Wir sind beim Essen«, sagte Mom. Sie legte großen Wert auf die Familienmahlzeiten. So, wie manche Eltern ihre Kinder in die Kirche schickten, riefen Jonas’ Eltern ihn und Katherine so gut wie jeden Abend zum gemeinsamen Essen an den Abendbrottisch. (Und in die Kirche gehen mussten sie normalerweise auch.)
    Auf dem Weg zur Tür bemerkte Jonas, dass er immer noch die Gabel in der Hand hielt, also steckte er sie in den Mund – kein Grund, den wunderbaren Kartoffelbrei zu verschwenden. Er brauchte nicht lange, um ihn hinunterzuschlucken, die Gabel ein letztes Mal abzulecken und sie dann in die andere Hand zu nehmen, damit er den Türknauf packen konnte. Trotzdem klingelte es noch weitere drei Male, ehe er die Tür aufriss.
    Draußen auf der Veranda stand Chip. Er schien nicht einmal zu merken, dass die Tür offen stand, so sehr war er damit beschäftigt, die Klingel zu bearbeiten.
    »He«, sagte Jonas.
    Endlich hörte Chip auf zu klingeln. Das Geläut hallte hinter Jonas noch ein paar Sekunden nach.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte Chip.
    Er schnaufte, als wäre er den ganzen Weg von seinem Zuhause, sechs Häuser weiter, bis zu Jonas gerannt. Er fuhr sich mit den Händen durch die blonden Locken, vielleicht wollte er sich den Schweiß abwischen oder auch nur ein wenig Ordnung in das Durcheinander bringen. Es nützte nichts. Die Locken standen in alle Richtungen ab. Und sein Blick irrte von hier nach da, als könnte er nicht für einen Augenblick irgendwo verharren.
    »Okay«, sagte Jonas. »Wir essen gerade, aber danach . . .«
    Chip packte ihn am T-Shirt .
    »Ich kann nicht warten«, sagte er. »Du musst mir helfen. Bitte.«
    Jonas nahm Chips Hand weg.
    »Hm, sicher«, sagte er. »Beruhige dich erst mal. Worüber willst du denn reden?«
    Chips Augen huschten über die Nachbarhäuser links und rechts. Er spähte durch den langen Gang in die Küche, wo er vermutlich gerade noch eine Ecke des Esstisches erkennen konnte.
    »Nicht hier«, sagte er und senkte die Stimme. »Wir müssen uns unter vier Augen unterhalten. Irgendwo, wo uns keiner hören kann.«
    Jonas wandte den Kopf. Er konnte seinen Teller mitdem knusprig gebratenen Hähnchenschenkel und dem halb aufgegessenen Kartoffelbrei sehen. Und er sah Katherine, die neugierig um die Ecke spähte.
    »Also gut«, sagte Jonas. »Warte hier.«
    Er ging zurück zum Esstisch.
    »Mom, Dad, darf ich bitte gehen?«, fragte er.
    »Du hast deinen Teller nicht aufgegessen«, neckte ihn Katherine, obwohl das wirklich albern war.
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