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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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setzt sich bei Hal Bregg schließlich die Erkenntnis durch, daß eine Welt, die jedes Abenteuer simulieren kann, keine Astronauten und Helden mehr braucht. Sie braucht allerdings auch keine Politik und Wissenschaft mehr, weil sie einen posthistorischen Zustand erreicht hat, der keine neuen gesellschaftlichen Ziele mehr zuläßt.
    Täuschende Zeichen

       Auch der Pilot Pirx, neben Ijon Tichy der wohl bekannteste Held Stanislaw Lems, wird regelmäßig mit phantomatischen Wirklichkeiten konfrontiert. So beginnt seine Pilotenlaufbahn in der Erzählung Test gleich mit einer subtilen Prüfungssituation, die auf einer perfekten peripheren Phantomatik basiert. Die Übungsflüge, die Pirx und der von allen Kadetten bewunderte Boerst zum Mond antreten, erweisen sich nämlich als reine Simulation. Auf diese Weise können die Prüfer gefahrlos Extremsituationen herbeiführen, die von den vorgegebenen Schemata der Pilotenhandbücher abweichen. Bei Pirx sind es zwei an sich harmlose Fliegen, die sich in sein Cockpit »verirrt« haben und eine mögliche Havarie seines Projektils provozieren. Doch Pirx löst die anfangs unlösbar scheinende Aufgabe mit dem für ihn so charakteristischen Zusammenspiel von diskursivem und intuitivem Denken. Boerst, der zweite Kandidat, scheitert hingegen und verläßt die Rakete, die nie vom Boden abgehoben hat, als »taumelndes Bündel Mensch« (Lem 1981 b, 48). In der Simulation war er mit dem Mond zusammengestoßen. Wie in Tr ansfer erweist sich auch in Test die Phantomatik als perfekt, so perfekt, daß Pirx den plötzlichen Wechsel zur konkreten Wirklichkeit als Schock erfährt: »Ein Lichtstreifen fiel auf die Schirme, die Sterne darauf verblaßten, und Pirx vernahm die gedämpfte Stimme seines Chefs. ›Pilot Pirx!‹ Er wollte aufspringen, aber die Gurte hielten ihn fest. Er fiel zurück, glaubte wahnsinnig zu sein. Im Gang zwischen der Wand des Steuerraums und der gläsernen Hülle erschien der Chef. (...) Pirx wußte nicht, wie ihm geschah. (...) Die Schirme hinter dem Rücken des Chefs waren plötzlich wie weggeblasen« (Lem 1981 b, 46 f.).
       Diese 1959 entstandene Erzählung weist bereits auf eine Problematik hin, die Lem in der Summa technologiae im Zusammenhang mit der Phantomatik ausführlich diskutiert. Sie betrifft die »Frage, wie man den fiktiven Charakter der phantomatischen Vision erkennen kann«, wie man zwischen Realem und Fiktivem unterscheiden kann (Lem 1981 a, 332.). Nicht nur in vielen Texten Lems wird diese Frage zur Kernfrage, sie ist längst zu einer fundamentalen Frage unserer Gegenwart gediehen, denn, wie bereits gesagt, die Interferenz von Fiktivem und Realem ist nicht erst Folge von Computersimulation oder Cyberspace. Schon die simple Reproduktion unserer Welt durch die bisherigen Medien bewirkt eine graduelle Entwirklichung, die kaum vom Konsumenten reflektiert wird. Und wie leicht sich der Mensch entwirklichen läßt, wenn sein Denken und Handeln wesentlich von mittelbarer Information bestimmt wird, zeigt Lem in den beiden Pirx-Erzählungen Der bedingte Reflex und Die Patrouille.
       Nachdem zwei Wissenschaftler einer Mondstation auf rätselhafte Weise tödlich verunglückt sind, beziehen Pirx und sein Kollege Langner die Forschungseinrichtung. Nach einiger Zeit tritt genau jene Notsituation ein, die Pirx sofort als die Ausgangssituation der vorangegangenen Katastrophe erkennt. Das Radargerät signalisiert ihm, daß sich sein Kollege dem Abgrund unweit der Station nähert, der auch ihren Vorgängern zum Verhängnis geworden war. Doch anstatt ihm nachzueilen, zögert Pirx und mißtraut schließlich der Apparatur: »Unversehens, er wußte selbst nicht warum, ergriff er das Antennenkabel und riß es aus dem Kontakt. Und es geschah etwas Verblüffendes: Der ›Schmetterling‹, isoliert von den äußeren Impulsen, fächerte weiter, anstatt zu erstarren... (...) Zwei Mann waren auf der Station, Langner und er. Der Apparat hingegen sah einen dritten. Er log also« (Lem 1981 b, 132).
       Nicht eine perfide kybernetische Scheinwirklichkeit, nicht eine technisch aufwendige Simulationseinrichtung hatte die Lunonauten ins Verderben gelockt, sondern eine schlichte Fehlfunktion der Überwachungsanlage. Der vom Radar angezeigte Mensch war eine Kreatur der Maschine, die Pirx durch das Entfernen der Antenne als reine Fiktion entlarvt hat.
       Ähnlich ergeht es Pirx in der Patrouille. Sensoren seiner Rakete zeigen die Existenz eines unbekannten Objektes an, dem
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