Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
Vom Netzwerk:
noch nicht völlig erstarrtem Glas. Er nahm es Smiga nicht einmal sehr übel — so war er eben, er ließ sich keine Gelegenheit entgehen. Von dem, was Boerst sagte, hörte er kein Wort — er zeichnete Kurven auf der Tabelle, und Eselswiese kommentierte die Antworten des Elektronenkalkulators auf seine Art, so daß der Antwortende den Faden verlor. Die Vorschrift ließ die Hilfe eines Kalkulators zu, Eselswiese hatte in dieser Sache jedoch seine eigene Auffassung. »Der Kalkulator ist auch nur ein Mensch«, pflegte er zu sagen. »Er kann entzweigehen.« Pirx konnte ihm das nicht einmal übelnehmen, er nahm nie etwas übel. Fast nie. Fünf Minuten später weilte er in Gedanken schon wieder ganz woanders, er stand in der Dyerhoffstraße vor einem Schaufenster und sah sich Gaspistolen an, die nicht nur für Gaspatronen, sondern auch für scharfe Munition oder Blindpatronen geeignet waren. Eine Pistole mit hundert Schuß kostete sechs Kronen... Pirx war nicht mehr anwesend, er war in der Dyerhoffstraße und starrte ins Schaufenster ...
       Als das Klingelzeichen ertönte, verließ er ruhig und gemessen den Saal, nicht lärmend und stampfend, wie der erste beste. Schließlich waren sie keine Kinder! Nahezu die Hälfte bewegte sich in die Messe — es gab zwar nichts zu essen um diese Zeit, aber es gab etwas zu sehen: die neue Serviererin, von der es hieß, sie sei schön. Pirx ging langsam zwischen den Glasschränken hindurch, die mit Sterngloben vollgestellt waren, und mit jedem Schritt bröckelte ein Stück von der Hoffnung ab, daß sich das Zweikronenstück in der Tasche anfinden könnte. Unten, auf der letzten Stufe, wußte er, daß dort noch nie ein Geldstück gewesen war.
       Am Ausgang standen Boerst, Payartz und Smiga. Payartz war ein halbes Jahr sein Tischnachbar gewesen, im Kosmodäsie-Unterricht. Er hatte ihm alle Atlanten mit Tusche beschmiert.
       »Du hast morgen deinen Versuchsflug«, sagte Boerst.
       »In Ordnung«, erwiderte Pirx phlegmatisch. So leicht ließ er sich nicht foppen.
       »Du glaubst es nicht? Lies!« Boerst klopfte mit dem Finger an die Scheibe des Aushanges.
       Pirx wollte weitergehen, aber sein Kopf schien sich von selbst zu drehen. Nur drei Namen waren auf der Liste, und ganz oben, tatsächlich, da stand es: Kadett Pirx. Unübersehbar!
       Einen Augenblick verschwamm alles um ihn herum. Dann hörte er wie aus der Ferne seine Stimme: »Na und? Ich hab doch gesagt: in Ordnung.«
       Er ging an ihnen vorüber und lenkte seine Schritte durch die kleine, von Blumenbeeten gesäumte Allee. In diesem Jahr wuchs dort eine Menge Vergißmeinnicht, man hatte sie sinnigerweise in Form einer landenden Rakete gepflanzt. Pirx sah nichts von alledem, weder die Blumenrabatten, die Stege und die Vergißmeinnicht noch den Chef, der eilig aus dem Seitenflügel des Instituts trat. Um ein Haar wäre Pirx im Portal mit ihm zusammengestoßen. Er salutierte.
       »Hallo, Pirx!« sagte Eselswiese. »Sie fliegen morgen. Ich wünsche Ihnen einen guten Start! Vielleicht haben Sie Glück, Kadett, und begegnen denen von den anderen Planeten !«
       Das Internat, hinter hohen Trauerweiden, lag am anderen Ende des Parks an einem Teich. Sein Seitenflügel, von Steinsäulen gestützt, ragte über dem Wasser auf. Irgend jemand hatte das Gerücht aufgebracht, daß die Säulen vom Mond stammten. Das war natürlich ein Hirngespinst, aber schon die ersten Schüler hatten voller Ehrfurcht ihre Initialen und Daten in den Stein geritzt. Auch Pirx' Name stand dort irgendwo, er hatte ihn vor vier Jahren mit großem Eifer eingraviert.
       In seinem Zimmer — es war so klein, daß er es mit niemandem zu teilen brauchte — zögerte er ein wenig. Sollte er den Schrank öffnen oder nicht? Er wußte genau, wo die alte Hose lag. Man durfte eigentlich kein Zivilzeug haben, vielleicht hatte er sie gerade deshalb aufgehoben. Im Grunde hatte sie für ihn keinen Wert. Er kniff die Augen zu, kauerte vor dem Schrank nieder, steckte die Hand durch die offene Tür und befühlte die Tasche. Na bitte — er hatte es doch gewußt. Sie war leer.
       Pirx stand in der Kombination, die noch nicht aufgeblasen war, auf dem stählernen Brückenpodest dicht unter dem Hallendach und hielt sich mit der Armbeuge an der Leine fest, die als Geländer gespannt war. Er hatte keine Hand frei. In der einen hielt er das Navigationsbuch, in der anderen den Schmolch, eine Spickkladde, die ihm Smiga geliehen hatte. Es hieß, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher