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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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herunter und fuhr dann fort: »Die Aufgabe: Senkrechter Start im Booster mit halber Kraft. Aufstieg in die Ellipse B 68. Auf der Ellipsenbahn Korrektur zur festen Umlaufbahn mit einer Umlaufzeit von vier Stunden sechsundzwanzig Minuten. Warten, bis zwei direkte Verbindungsschiffe vom Typ JO 2 auf der Umlaufbahn sind. Wahrscheinliche Zone des Radarkontakts — Sektor II, Satellit PAL, mit möglicher zulässiger Abweichung von sechs Bogensekunden. Zur Abstimmung des Manövers phonischen Kontakt anknüpfen. Manöver: Heruntergehen von der festen Umlaufbahn mit einem Kurs von sechzig Grad vierundzwanzig Minuten nördlicher Breite, einhundertfünfzehn Grad drei Minuten elf Sekunden östlicher Länge. Anfangsbeschleunigung 2,2. g. Endbeschleunigung nach dreiundachtzig Minuten: null. Beide JO 2 in Dreierformation, ohne den Bereich der Phonie zu verlassen, zum Mond lotsen. In dessen Äquatorzone eine zeitweilige Umlaufbahn entsprechend den Angaben von LUNA PELENG erreichen, sich vergewissern, daß sich die beiden gelotsten Raumschiffe auf der Umlaufbahn befinden. Von dieser Umlaufbahn mit Kurs und Beschleunigung nach einem Gutdünken heruntergehen, um auf die feste Umlaufbahn im Bereich des Satelliten PAL zurückzukehren. Dort weitere Befehle abwarten.«
       Die Kadetten erzählten sich, daß es demnächst anstelle der bisherigen Spickkladden elektronische Spicker geben werde, das heißt Mikrokerne von der Größe eines Kirschkerns, die man im Ohr oder unter der Zunge tragen könne. Mit denen wäre man fein heraus, denn sie würden einem alles vorsagen, immer und überall. Pirx glaubte nicht daran, er war der Meinung — und das nicht zu Unrecht —, daß man dann keine Kadetten mehr benötigen würde. Aber wie dem auch sei, vorläufig gab es so etwas nicht, und deshalb mußte er den ganzen Text der Aufgabe wiederholen. Das tat er auch, wobei er sich nur ein einziges Mal irrte, allerdings gründlich, denn er verwechselte die Minuten und Sekunden der Zeit mit denen der Länge und Breite. Was kommt nun? fragte er sich, als er fertig war. Ihm war unerträglich warm in der Antischweißwäsche, die er unter der dicken Hülle der Kombination trug. Er wurde aufgefordert, den Wortlaut ein zweites Mal herzubeten. Er tat es, aber der Sinn wurde ihm nicht bewußt. Haben die mir aber eingeheizt! Das war das einzige, was er zu denken imstande war.
       In der linken Hand hielt er die Spickkladde, in der rechten das Navigationsbuch, das er dem Chef reichte. Das mündliche Wiederholen der Aufgabe war reine Schikane, denn man bekam sie ja ohnehin schriftlich — sogar der erste Kurs war darin vorgezeichnet. Der Chef steckte das Kuvert mit der Aufgabe in das kleine Täschchen unter dem Umschlag. Dann gab er ihm das Buch zurück und fragte: »Pilot Pirx, sind Sie bereit?«
       »Bin bereit!« antwortete Pirx. In diesem Augenblick hatte er nur noch einen Wunsch: im Steuerraum zu sitzen. Er sehnte sich danach, die Kombination aufknöpfen zu können, wenigstens am Hals.
       Der Chef trat einen Schritt zurück. »Ins Projektil!« rief er mit seiner herrlich metallischen Stimme, die wie ein Glockenschlag den dumpfen Lärm in der riesigen Halle übertönte.
       Pirx vollführte eine Kehrtwendung, ergriff das rote Fähnchen, stolperte über das Seil, fand im letzten Augenblick das Gleichgewicht wieder und tapste wie ein Golem über den schmalen Steg. Als er ihn halb überquert hatte, betrat Boerst — von hinten glich auch er einem Fußball — bereits seine Rakete.
       Pirx steckte die Beine hinein, klammerte sich an die massive Verschalung der Luke, rutschte die elastische Rinne hinunter, ohne die Füße auf die Sprossen zu stellen — Sprossen sind nur für sterbende Piloten da, pflegte Eselswiese zu dozieren —, und ging daran, die Klappe zu schließen. Sie hatten das an »Phantom«-Geräten und an einer Klappe trainiert, die aus einer richtigen Rakete stammte und mitten im Übungsraum befestigt war — hundertmal, tausendmal: linke Kurbel, rechte Kurbel, halb herum, Kontrolle der Abdichtungen, wieder eine halbe Drehung beider Kurbeln, Festdrücken, Dichtekontrolle unter Druck, Absicherung der Luke mit innerem Schutzdeckel, Vorschieben der Antimeteoritenschutzhülle, Verlassen des Einstiegschachts, Verschließen der Kabinentür, Andrücken, Kurbel, zweite Kurbel, Riegel — es konnte einem schlecht werden dabei.
       Pirx glaubte, daß Boerst schon lange in seiner Glaskugel säße, während er erst den Anschlagring der Kammer
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