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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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festschraubte. Plötzlich fiel ihm ein, daß sie ja ohnehin nicht zusammen starten würden, es wurden sechsminütige Abstände eingehalten, er brauchte sich also gar nicht zu beeilen. Dennoch war es besser, sich auf seinen Platz zu setzen und das Radiophon einzuschalten — dadurch könnte er wenigstens die Befehle hören, die Boerst erhielt. Es war interessant zu wissen, welche Aufgabe er wohl zu lösen hätte.
       Als Pirx die Außenklappe zudrückte, schaltete sich automatisch die Innenbeleuchtung ein. Er verriegelte alles, was es zu verriegeln gab, und stieg über die mit sehr rauhem, aber weichem Plastikstoff ausgelegten Stufen der kleinen Schräge zum Pilotensitz.
       Weiß der Teufel, weshalb diese kleinen Einpersonenraketen so eingerichtet sind, daß der Pilot in einer großen Glaskugel von drei Meter Durchmesser sitzen muß, dachte Pirx. Sie war zwar durchsichtig, aber natürlich nicht aus Glas, sondern aus einem elastischen, federnden Material, das sehr hartem, grobem Gummi ähnelte. Diese Kapsel mit dem zerlegbaren Pilotensitz in der Mitte war in einen kegelförmigen Raum eingepaßt, den eigentlichen Steuerraum. Der Pilot konnte sich in seinem Zahnarztstuhl, wie man ihn nannte, nach allen Seiten drehen und durch die Wände der Blase, in die er eingeschlossen war, alle Skalen, alle Zeiger und alle vorderen, hinteren und seitlichen Bildschirme sehen, dazu die Tafeln beider Rechenmaschinen und des Astrographen sowie das Allerheiligste — das Trajektometer. Dieses Gerät zeichnet mit einem dicken, stark leuchtenden Band auf der trüben, gewölbten Scheibe den Weg des Projektils und setzte ihn in Beziehung zu den Fixsternen in der Harelsbergerschen Projektion. Der Pilot mußte die Elemente ihrer Projektion auswendig kennen und imstande sein, sie in jeder Lage vom Apparat abzulesen, auch wenn er mit dem Kopf nach unten hing. Wenn er den Sitz eingenommen hatte, hielt er links und rechts die beiden Hauptgriffe des Reaktors und der Steuerdüsen für Abweichungen. Außerdem waren da noch drei Unfall griffe, sechs Hebel für die einfache Steuerung, die Drehknüppel zum Starten und für den Freilauf sowie den Leistungsregler, für den Schub, für das Durchblasen der Düsen, und dicht über dem Fußboden das große Speichenrad der Klimaanlage, der Sauerstoffapparatur, der Griff der Brandsicherungsanlage, der Griff der Reaktorschleuder — für den Fall, daß eine unkontrollierte Kettenreaktion beginnen sollte —, ein Seil mit einer Schleife, das an der Decke des Schränkchens befestigt war, in dem sich die Thermosflaschen und das Essen befanden, und unter den Füßen die weich gepolsterten und mit Riemenschleifen versehenen Bremspedale und die Schleudersicherung. Wenn man die Sicherung betätigte — man mußte mit dem Fuß die Haube einschlagen und sie nach vorn stoßen —, wurde die Blase mit dem Sitz und dem Piloten und dem Ringband-Fallschirm hinausgeschleudert.
       Außer dem Hauptzweck — Rettung des Piloten bei einer Havarie, die nicht zu beheben ist - gab es noch acht weitere wichtige Gründe für die Konstruktion der Blase. Unter günstigeren Umständen hätte Pirx all diese Gründe aufzählen können, obwohl sie ihn allesamt nicht überzeugten und die anderen Kadetten auch nicht.
       Als er dann endlich saß, mußte er sich mühevoll krümmen, um alle Röhrchen, Kabel und Leitungen, die aus dem Gurt heraushingen, in die Enden zu stecken, die aus dem Sitz emporragten. Jedesmal wenn er sich vorbeugte, schnürte ihm die Kombination den Leib ab. Es war kein Wunder, daß er das kleine Kabel der Phonie mit dem Heizkabel verwechselte. Zum Glück hatten sie verschiedenfarbige Gewinde, aber der Irrtum wurde ihm erst bewußt, als er schon ganz in Schweiß gebadet war. Während die Luft rauschend in die Kombination strömte und sie in Sekundenschnelle ausfüllte, lehnte er sich seufzend zurück und legte mit beiden Händen die Schenkel- und Schulterriemen an.
       Der rechte schnappte gleich ein, der linke wollte nicht. Sein Kragen, der wie ein Gummireifen aufgeblasen war, erlaubte ihm nicht, nach hinten zu schauen. So quälte er sich denn und tastete blindlings mit dem Karabinerhaken gleichzeitig vernahm er gedämpfte Stimmen in den Hörern:
       »Pilot Boerst auf AMU 18! Start nach Phonie im Moment Null!« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
       Pirx fluchte. Endlich — der Verschluß rastete ein. Pirx sank tief in den weichen Sessel, so müde, als sei er gerade von einem sehr
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