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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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Aber er war nicht nur der Begabteste, er hatte auch glänzende Erfolge in der Leichtathletik aufzuweisen; er sprang wie der Teufel, tanzte ausgezeichnet, und — es ließ sich nicht leugnen — er war eine stattliche Erscheinung, was man von Pirx nicht gerade behaupten konnte.
       Sie schritten über das lange Podest zwischen den Gitterstützen des Daches, vorbei an hintereinander aufgestellten Raketen, bis die Helligkeit sie überflutete, denn dieser Teil des Daches war bereits in einer Breite von zweihundert Metern zurückgeschoben worden. Auf gewaltigen Betontrichtern, die ineinandergriffen und dazu dienten, das Feuer der Düse abzuleiten, standen zwei kegelförmige Kolosse nebeneinander — in Pirx' Augen waren es jedenfalls Kolosse. Jeder von ihnen war achtundvierzig Meter hoch und hatte unten, im Booster, einen Durchmesser von elf Metern.
       Zu den Luken, die bereits abgeschraubt waren, führten kleine Gangways. Den Durchgang versperrten bleierne Gewichte, die in der Mitte aufgestellt waren, jedes mit einem roten Fähnchen an einem biegsamen Schaft. Pirx wußte, was nun kam: die Frage, ob er bereit sei, die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen. Er würde die Frage — das wäre das erstemal in seinem Leben — mit »ja« beantworten und das Fähnchen beiseite schieben. Plötzlich bedrängte ihn das Gefühl, daß er beim Entfernen des Fähnchens über das Seil stolpern und unweigerlich der Länge nach hinschlagen würde — solche Dinge kamen vor. Wenn das überhaupt jemandem passieren sollte — ihm bestimmt. Er hatte nie Glück, es kam ihm jedenfalls so vor. Die Dozenten waren da anderer Meinung. Er sei eben ein Trottel, sagten sie, ein Tölpel. Er denke immer an alles mögliche, nur nicht an das, woran er gerade zu denken habe. In der Tat, nichts fiel ihm so schwer wie das Reden, die Konversation. Zwar klaffte zwischen seinem Tun und seinem Denken, das sich in Worte kleidete, kein Abgrund, aber immerhin war dort ein Hindernis, das ihm das Leben schwermachte. Die Dozenten ahnten nicht, daß Pirx ein Träumer war. Niemand ahnte das. Man glaubte, er denke überhaupt nicht — und das stimmte nun wirklich nicht.
       Er schielte zu Boerst hinüber und sah, daß der sich so hingestellt hatte, wie es das Reglement vorschrieb: einen Schritt von der Gangway entfernt, die zur Luke führte, in strammer Haltung, die Hände an den nicht aufgeblähten Gummireifen seiner Kombination.
       Boerst sieht sogar in dieser eigenartigen Kluft gut aus, dachte Pirx. Sie kleidet ihn, obwohl sie wirkt, als habe man sie aus hundert Fußbällen zusammengesetzt... Boersts Kombination war tatsächlich noch nicht aufgeblasen, seine dagegen schien an einigen Stellen gefüllt zu sein. Wahrscheinlich konnte er sich deshalb so schlecht in ihr bewegen und war gezwungen, so breitbeinig dazustehen. Er stellte die Füße nebeneinander, so gut er es vermochte, aber die Absätze wollten einfach nicht zusammenrücken. Warum bekommt Boerst das fertig und ich nicht? fragte er sich. Schleierhaft! Ohne Boerst hätte er übrigens völlig vergessen, die vorschriftsmäßige Grundstellung einzunehmen: den Rücken der Rakete und das Gesicht den drei Uniformierten zugewandt. Die drei gingen zuerst auf Boerst zu. Vielleicht taten sie das nur deshalb, weil sein Name rein zufällig mit B begann. Und dennoch — ein absoluter Zu fall wäre das nicht, das heißt ein Zufall schon, aber ein ungünstiger, wie immer. Er war zum Warten verurteilt, und das machte ihn nervös. Wenn ihm schon Unangenehmes bevorstand, dann sollte es lieber gleich geschehen.
       Pirx hörte nur Bruchstücke von dem, was die drei mit Boerst besprachen. Boerst war gespannt wie eine Bogensehne, er antwortete schnell, so schnell, daß Pirx kein Wort verstand. Dann traten sie zu ihm, und als der Chef ihn anredete, fiel ihm plötzlich ein, daß eigentlich nicht zwei Mann fliegen sollten, sondern drei. Wo war der dritte? Zum Glück hatte er vernommen, was der Chef sagte, und so stieß er im letzten Augenblick hervor: »Kadett Pirx zum Start bereit.«
       »Hm... tja«, sagte der Chef. »Und der Kadett Pirx erklärt, daß er an Leib und Seele gesund ist ... hm ... in den Grenzen seiner Möglichkeiten?« Er liebte es, an die stereotypen Fragen solche Floskeln anzuhängen. Er konnte sich das gestatten, er war eben der Chef.
       Pirx erwiderte, er sei gesund.
       »Für die Dauer des Fluges ernenne ich den Kadetten zum Piloten ...«, sagte der Chef, leierte die sakramentale Formel
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