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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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verkohlt und klein wie Puppen. Lena Brücker lief zu einem Wohnhaus, folgte dem weißen Pfeil: Luftschutzraum, hinter ihr her Bremer.
    Ein Luftschutzwart, ein alter Mann mit einem nervösen Zucken im Gesicht, schloß hinter ihnen die Stahltür. Lena Brücker und Bremer setzten sich auf eine Holzbank. Ihnen gegenüber saßen die Hausbewohner, einige alte Männer, drei Kinder, mehrere Frauen, die neben sich Koffer und Taschen gestellt, Decken und Federbetten um die Schultern gelegt hatten.
    Sie wurden von den Leuten angestarrt. Dachten wohl: das ist Mutter und Sohn. Oder: das ist ein Liebespaar. Der Luftschutzwart, mit seinem Stahlhelm auf dem Kopf, kaute, sah zu ihnen herüber. Was wird er gedacht haben? Da hatte sich mal wieder eine reife Frau einen jungen Mann angelacht. Wie die beiden die Köpfe zusammensteckten. Der Rock war ziemlich kurz. Ein gutes Stück vom Oberschenkel war zu sehen. Strümpfe trug die nicht, die Farbe war dort, wo sie die Beine übereinanderschlug, abgerieben, dort war hell das nackte Fleisch zu sehen. Aber ne Nutte war das nicht. Nicht mal eine dieser Amateurnutten. Deren Geschäfte gingen schlecht, ganz schlecht sogar. Gab ja jede Menge alleinstehender Frauen. Ehemänner im Feld geblieben oder an der Front. Die Frauen schmissen sich den Männern an den Hals. Der Luftschutzwart griff in die Tasche seines Mantels und holte ein Stückchen Schwarzbrot raus. Er kaute und starrte zu Lena Brücker rüber. Überall Frauen, Kinder, alte Leute. Und da sitzt so n Junge von der Marine. Die beiden sitzen und flüstern. Haben sich bestimmt auf einem Tanzfest kennengelernt, einem privaten natürlich, öffentliche waren ja verboten. Keine öffentlichen Vergnügungen mehr, während draußen Väter und Söhne kämpften. Und fielen. Alle sechs Sekunden fällt ein deutscher Soldat. Aber Feiern läßt sich nicht verbieten, nicht das Lustigsein, nicht dieser Drang zu lachen, gerade wenn es so wenig zu lachen gibt.
    Der Luftschutzwart beugte sich vor, versuchte etwas von dem Gespräch der beiden mitzuhören. Aber was hörte er? Leitstelle, Kartenkammer, Seekarten. Bremer flüsterte von Seekarten, die gerollt, gefaltet, numeriert und alphabetisch geordnet werden mußten, die er in Oslo im Stab des Admirals verwalten, das heißt mit neuen Karten vergleichen oder austauschen mußte.
    Dabei durfte es zu keiner Verwechslung kommen. Denn die Karten mußten immer auf dem neuesten Stand sein, er zeichnete ein, wo die Vorpostenboote standen, vor allem aber, wo die Minenfelder lagen, wo die Einfahrten und die Durchfahrten waren. Sonst konnte passieren, was schon passiert war, daß deutsche Schiffe auf die selbstgelegten Minen fuhren. Er wolle sich keineswegs interessant machen, aber der Posten sei nicht unwichtig, und jetzt sei er, nach einem Urlaub in Braunschweig, auf der Rückreise nach Oslo zu einer Panzerjagd-Einheit abkommandiert worden. Verstehen Sie, sagte er, ich bin Seemann. Sie nickte. Er sagte nicht: Ich habe keine Erfahrung im Erdkampf, das ist der reine Wahnsinn. Er sagte nicht: Die wollen mich in letzter Minute noch verheizen. Er sagte das nicht nur nicht, weil man als Mann, zumal als Soldat, so etwas nicht sagen konnte, sondern weil es nicht ratsam war, das jemandem, den man noch nicht richtig kannte, zu sagen. Immer noch gab es Volksgenossen, die Defätismus anzeigten. Zwar sah er an ihrem Kostüm nicht das Parteiabzeichen. Das sah man aber in diesen Tagen nur noch selten. Man trug es unter dem Mantel, gut verdeckt vom Schal.
    Plötzlich: ein fernes dumpfes Brummen, ein erdtiefes Wühlen. Der Hafen, sagte Lena Brücker. Sie bombardieren den U-Boot-Bunker. Fern das Grummeln der explodierenden Bomben. Dann – nah – eine Detonation, ein Stoß, die Notbeleuchtung fiel aus, und noch ein Stoß, der Boden schwankte, das Haus, der Keller schaukelte wie ein Schiff. Die Kinder schrien, und auch Bremer hatte aufgeschrien. Lena Brücker legte ihm den Arm um die Schulter. Hat nicht das Haus getroffen, war irgendwo nebenan.
    Auf einem Schiff sieht man die Flugzeuge, auch, wie die Bomben fallen, sagte er entschuldigend, hier ist es ein bißchen überraschend.
    Man gewöhnt sich dran, sagte Lena Brücker und ließ ihn los.
    Der Luftschutzwart leuchtete mit einer Taschenlampe die Stahltür ab. Der Lichtstrahl wanderte über die Leute, die eingehüllt in ihren Decken dasaßen, als seien sie eingeschneit. Und noch immer rieselten Kalk und Staub von der Decke.
    Nach einer Stunde kam die Entwarnung. Draußen hatte ein feiner
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