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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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Nieselregen eingesetzt. In der Straße, nur wenige Meter von dem Haus, war der Krater, drei, vier Meter tief. Schräg gegenüber brannten das Dach und die obere Etage eines Hauses. Frauen trugen aus der unteren Etage einen Sessel, Wäsche, eine Standuhr, Vasen heraus, auf dem Gehweg stand schon ein kleiner runder Tisch, darauf sorgfältig zusammengelegte Bettwäsche. In der Luft schwebten brennende Gardinenfetzen. Was Bremer schon in Braunschweig während eines Bombenangriffs überrascht hatte, war, daß die Leute nicht weinten, nicht schrien, nicht verzweifelt die Hände rangen, daß sie wie bei irgendeinem Umzug die leichteren Dinge aus einem Haus trugen, dessen Dach brannte. Andere gingen gelassen, nein, gleichmütig vorbei. Eine alte Frau saß in einem Sessel wie im Wohnzimmer, nur daß sie im Regen saß, auf dem Schoß einen Vogelkäfig, darin sprang ein Zeisig herum und schrie, ein anderer lag am Boden.
    Lena Brücker schlug das Revers ihres Kostüms vor der Brust zusammen, sagte, hoffentlich ist nicht mein Haus getroffen worden. Bremer entrollt seine Feldplane, graugrün gesprenkelte Tarnfarbe. Er zog die Plane vorsichtig über Lena Brückers Kopf und Schultern. Sie hob die Plane ein wenig, damit auch er darunterkam, den Arm um sie legte, und so gingen sie eng aneinandergeschmiegt durch den dichter fallenden Regen, ohne ein Wort zu sagen und wie selbstverständlich zu ihr, in die Brüderstraße. Das Licht im Treppenhaus brannte nicht, vorsichtig tappten sie die Treppe hinauf, bis er hinter ihr stolperte, da nahm sie ihn an der Hand, ging voraus und schloß oben ihre Wohnungstür auf. Sie ging vor ihm in die Küche und zündete eine Petroleumlampe an.
     
    Frau Brücker legt das Strickzeug aus der Hand, steht auf, geht zum Wohnzimmerschrank, ohne zu zögern, ein polierter Birkenholz-Schrank mit einem verglasten Mittelteil. Sie ertastet den Schlüssel, an dem eine Troddel hängt, und öffnet die rechte Seitentür, greift in ein Fach, zieht ein Album heraus, kommt zurück und legt es auf den Tisch. Ein Fotoalbum, eingebunden in burgunderroten Rupfen. Kannste mal blättern. Muß auch ein Foto von der Küche drin sein.
    Auf den ersten Seiten sind die Fotos säuberlich mit weißer Tinte beschrieben, dann nur noch eingeklebt, später liegen sie zusammengeschoben zwischen den Seiten. Gibt es ein Foto von diesem Bootsmann? Nee, sagt sie. Ich blättere: Lena Brücker als Baby auf einem Eisbärenfell, als Mädchen im gestärkten Rüschenkleid, im dunklen Kleid mit Konfirmandensträußchen, dann ein Baby mit Strickhäubchen und Beißring, ihre Tochter Edith, ein Junge auf einem Tretroller, ein Mädchen mit Haarschnecken, nach oben blickend, in den Händen zwei Stöckchen mit Schnur, offensichtlich wartet sie auf ein Jojo, das im Bild aber noch nicht zu sehen ist, ein Junge mit einem Teddy unter dem Weihnachtsbaum, Frau Brücker an Bord einer Barkasse, das Haar verweht im Gesicht, das Kleid wird ihr zwischen die Beine gedrückt.
    Sie hat sich wieder das Strickzeug gegriffen, zählt die Maschen, ihre Lippen bewegen sich. Ein Mann auf einer Barkasse. Sieht Gary Cooper ähnlich, sage ich. Sie lacht. Ja, das is Gary. Mein Mann. Haben alle gesagt: sieht aus wie Gary Cooper. Sah wirklich gut aus. War aber auch das Leid. Die Frauen waren hinter ihm her. Und er hinter den Frauen. Na ja. Is schon lange tot.
    Dann das Bild, das Frau Brücker in der Küche zeigt. Sie steht neben einer jungen Frau. Rund, sommersprossig, beschreibe ich die Frau. Die kennste, wohnte auch im Haus, Frau Claussen, unten, die Frau von dem Baggerführer, sagt Frau Brücker und starrt nachdenklich die Wand an. Was hab ich für ein Kleid an? Dunkel mit kleinen hellen Punkten und einem weißen Spitzenkragen, es hat, ich zögere, einen tiefen Ausschnitt. Sie lacht, legt das Strickzeug auf den Tisch. Ja. Das Kleid ist von meinem Mann. War mein schönstes Kleid. Das Haar, blond, trägt sie hochgesteckt, es quillt über die beiden seitlich eingesteckten Schildpatt-Kämme.
    Ich hab damals nur die Küche warmgekriegt. Siehste den Ofen? Ja. Ein kleiner gußeiserner Ofen in der Mitte der Küche. Das Abzugrohr geht mit einem Knick durch den Raum, führt aus dem oberen, mit einer schwarzen Pappe verschlossenen Sprossenfenster raus. Sollte noch möglichst viel Wärme abgeben. Konnte auf dem Ofen beides: heizen und kochen. Hatte sonst ja einen Gasherd. Aber Gas gabs nur noch selten. Der Gasometer war zerstört. Hatte mir das genau eingeteilt, jeden Tag zwei Briketts, dazu
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