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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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nichts mehr kaufen.
    Tschuldigung, sagte er, weil er die Frau, die sich hinter ihm angestellt hatte, mit seinem Marschgepäck weggedrückt hatte.
    Macht nichts, sagte Lena Brücker. Sie war gleich nach Feierabend aus der Lebensmittelbehörde nach Hause gegangen, hatte sich umgezogen und, da die Sonne hin und wieder zwischen den Wolken leuchtete, ihr Kostüm angezogen. Den Rock hatte sie für dieses Frühjahr etwas gekürzt. Ihre Beine konnten sich sehen lassen, noch, wie sie dachte, denn in drei, vier Jahren wäre sie für einen derart kurzen Rock schon zu alt. Sie hatte sich die Beine mit der hellbraunen Strumpffarbe eingerieben, die Stellen, die etwas zu dunkel geraten waren, verstrichen und sich dann vor dem Spiegel einen feinen schwarzen Strich über die Waden gezogen. Mindestens drei Schritte mußte sie vom Spiegel weggehen, dann aber sah es aus, als trüge sie Seidenstrümpfe. Auf dem Großneumarkt roch es nach Brand und nassem Mörtel. Am Millerntor war in der Nacht zuvor ein Haus von einer Brandbombe getroffen worden. Noch immer schwelte der Schuttberg. Die Büsche in dem Vorgarten waren von der jähen Hitze ergrünt, die zu nah an der Brandruine stehenden verdorrt, einige Ästchen sogar verkohlt. Sie ging an dem Café Heinze vorbei, von dem nur noch die Fassade stand. Neben dem Eingang war noch auf einem Schild zu lesen: Swing tanzen verboten! Reichskulturkammer. Längst wurde der Schutt auf dem Bürgersteig nicht mehr weggeräumt. Die Bars waren geschlossen, kein Tanz, kein Striptease. Sie kam zu Knopfs Lichtspielhalle , außer Atem, sah die Schlange, dachte, hoffentlich komm ich noch rein, stellte sich hinter einem Marinesoldaten an, einem jungen Bootsmann.
    So waren Hermann Bremer und Lena Brücker Schritt um Schritt hierher und hintereinander zu stehen gekommen, und er hatte sie mit seinem Gepäck, einem Seesack mit einer daraufgebundenen, eingerollten graugrün gesprenkelten Feldplane, gestreift. Macht nichts. Erst ein Zufall ließ sie ins Gespräch kommen. Sie kramte in ihrer Handtasche nach der Geldbörse, da rutschte ihr der Haustürschlüssel raus. Er bückte sich, sie bückte sich, sie stießen mit den Köpfen zusammen, nicht stark, nicht schmerzhaft, er spürte kurz nur ihr Haar im Gesicht, sanft, weichblond. Er hielt ihr den Schlüssel hin. Was war ihr zuerst aufgefallen? Die Augen? Nee, die Sommersprossen, er hatte Sommersprossen auf der Nase, mittelblondes Haar. Hätte glatt mein Sohn sein können. Sah aber noch jünger aus, als er war, damals 24 Jahre. Dachte im ersten Moment, der ist neunzehn, vielleicht zwanzig. Nett sah er aus, so dünn und hungrig. War so zögernd und etwas unsicher, aber mit offenen Augen. Sonst hab ich mir nix dabei gedacht. Nicht in dem Augenblick. Ich hab ihm von dem Film erzählt, den ich in der letzten Woche gesehen hatte: Es war eine rauschende Ballnacht . Filmegucken war das einzige Vergnügen, wenn nicht mal wieder das Licht ausfiel.
    Sie wollte wissen, auf welchen Einheiten er fahre. Sie fragte das mit dem richtigen Begriff. Das hatte man ja täglich gehört und gelesen: schwere Einheiten, die Schlachtschiffe, Panzerkreuzer, Schweren Kreuzer. Nur war von den schweren Einheiten, abgesehen von der Prinz Eugen , nichts mehr übriggeblieben. Aber leichte Einheiten gabs noch, Torpedoboote, Schnellboote, Minensuchboote. Und dann die U-Boote.
    Nein, er sei in der letzten Zeit im Stab des Admirals in Oslo gewesen, Abteilung Seekarten. War auf einem Zerstörer gefahren, 1940. In Narvik versenkt. Später auf einem Torpedoboot im Ärmelkanal, dann ein Vorpostenboot. Sie saßen im Kino nebeneinander auf knarzenden Sesseln, kalt war es. Sie fror in ihrem Kostüm. Die Wochenschau: Lachende deutsche Soldaten fuhren vorbei, um einen russischen Angriff irgendwo an der Oder zurückzuschlagen. Die Vorschau auf den nächsten Film: Kolberg . Gneisenau und Nettelbeck, Kristina Söderbaum, die Reichswasserleiche, lacht und weint. Noch während der Vorschau – Kolberg brannte – begannen draußen die Luftschutzsirenen zu heulen. Das Saallicht ging an, flackerte, fiel aus. Licht von Taschenlampen. Die Zuschauer drängten aus den beiden Saaltüren, liefen in Richtung auf den großen Bunker an der Reeperbahn . In einen Großbunker wollte sie auf keinen Fall. Lieber in irgendeinen Luftschutzkeller. Einer dieser großen Bunker hatte nämlich neulich einen Volltreffer vor die Tür bekommen. Ein Feuersturm war durch den Bunker gegangen. Später sah man die Menschen an den Leitungen hängen,
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