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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
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abwesend. Sie hatte immer nach einem Vergleich gesucht, bis ihr der Hofhund einfiel, den sie als Kind auf dem Bauernhof ihres Onkels beobachtet hatte, der, wenn er seinen Pansen bekam, den mechanisch in sich hineinschlang. Störte man ihn, knurrte er kurz, zeigte die Zähne, dann fraß er sofort weiter.
    Lustlos hatte sie für ihren Mann gekocht und lustlos für sich, und, wenn sie ehrlich war, auch für die Kinder, als ihr Mann aus dem Haus war. Aber dann, sonderbarerweise, als alles fehlte, andere die Lust am Kochen verloren, weil es kaum noch Zutaten gab, da erst bekam sie Lust am Kochen. Es machte ihr Spaß, mit nur wenigem auszukommen. Sie versuchte sich in Geschmacksübertragungen. Probierte Gerichte aus, die sie früher, als es noch alle Zutaten gab, nie gekocht hätte. Aus wenigem viel machen, sagte sie, aus der Erinnerung kochen. Man kannte den Geschmack, aber es gab die Zutaten nicht mehr, das war es, die Erinnerung an das Entbehrte, sie suchte nach einem Wort, das diesen Geschmack hätte beschreiben können: ein Erinnerungs-Geschmack.
    Sie tranken den Wein und zwischendurch, weil er so süß wie Likör war, immer wieder einen klaren Birnenschnaps. Kopfschmerzen werden wir bekommen, sagte sie. Aber das ist heute egal. Ja, sagte er, morgen ist morgen. Wenn ich Kopfschmerzen kriege, ist es ganz egal, auch den englischen Panzern wird es egal sein.
    Einen Moment lang wußte sie nicht, was sie darauf sagen sollte. Nichts, da ist nichts zu sagen, sagte sie sich, ich müßte ihn einfach in die Arme nehmen.
    Sie erzählte, jetzt dürfe im Rundfunk der Schlager: Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei , nicht mehr gespielt werden. Und warum? Jeder kennt den neuen Text: Es geht alles kopfüber, es geht alles entzwei, erst fliegt Adolf Hitler, dann seine Partei.
    Es war warm in der Küche, nicht so warm, daß sie sich die Kostümjacke ausziehen mußte, aber sie glühte. Sie saß in der Bluse am Küchentisch, und Bremer wird von nahem gesehen haben, was ich auf den Fotos sehen konnte: ihren runden Busen. Sie goß ihm noch einen Birnenschnaps ein. Der Kollege brannte diesen Schnaps in seinem Schrebergarten, heimlich. Die Birnen sammelt er in einer Tonne. In der sonst so stillen Nacht schoß die Achtkommaacht-Flak vom Bunker auf dem Heiligengeistfeld, eins, zwei, Lena Brücker zählte mit, drei, vier, fünfmal. Das war das Signal für den Fliegeralarm, seit es keinen Strom mehr gab. Sollen wir in den Keller?
    Nein, sagte er.
    Sie stand auf – nach einem kurzen Zögern –, da war sie schon aufgestanden, hatte den ersten Schritt gemacht und sagte sich, was, wenn er nicht will, wenn er jetzt erschrickt, wenn er abrückt, oder aber nur das Gesicht verzieht, ein wenig, ein Zucken nur, dann, ja, was dann? Sie ging zu ihm, setzte sich neben ihn auf das Sofa. Sie stießen mit dem Rest des Madeiraweins an. Hoffentlich wird mir nicht schlecht, dachte sie, hoffentlich muß ich mich nicht übergeben. Seine Wangen, rotfleckig, brannten, aber vielleicht waren es auch nur ihre. Von fern hörte sie die Abschüsse der Flak. Keine Bomben fielen. Wenn du magst, sagte sie, kannst du bleiben. Und später in dem kalten Schlafzimmer, in dem weißen klobigen Ehebett, in dem sie fünf Jahre allein gelegen hatte, sagte sie, du kannst, wenn du willst, auch ganz hier bleiben. Und dieses »ganz« sprach sie so beiläufig wie selbstverständlich aus. Ein ungenaues Wort, und doch – das wußte sie – war es ein Wort, das über sie beide entscheiden würde.
    Er lag auf ihrem Kopfkissen, den Arm unter dem Kopf, und sie sah das Aufglühen seiner Zigarette. Kommt Besuch? Manchmal. Aber niemand, dem ich öffnen muß. Is eine Endwohnung. Nach oben kommt kaum einer. Und wenn, kannste in die Kammer gehen. Ich schließ von außen ab. Kurz leuchtete sein Gesicht auf. Von fern waren noch immer die Abschüsse der Flak zu hören. Sie bombten nicht mehr auf die Elbbrücken, die Brücken, die sie in den vergangenen Jahren zu zerstören versucht hatten. Jetzt wollten sie die Brücken möglichst unversehrt einnehmen. Sie bombten auf die U-Boote im Hafen. Erst da merkte sie, daß er eingeschlafen war. Die brennende Zigarette zwischen den Fingern. Vorsichtig nahm sie die aus den Fingern und drückte sie aus. Sie lag neben ihm und sah ihn an, schattenhaft, hörte seinen Atem, gleichmäßig, vorsichtig strich sie ihm über seinen Oberarm, die Rundung, dort, wo der Arm in die Schulter überging.
    Um 4 Uhr klingelte der Wecker. Er sprang sofort aus dem Bett. Sie
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