Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
ist mir egal. Solange der Staat für die Kinder zahlt.
    Zwei Kinder?
    Ja, einen Sohn, der ist sechzehn. Ist bei der Flak, irgendwo im Ruhrgebiet. Hoffentlich gehts dem Jungen gut. Und eine Tochter, die – sie stockte, sie sagte nicht, die ist zwanzig, mein Gott schon zwanzig, sie sagte, die lernt, obwohl Edith schon vor zwei Jahren als Arzthelferin ausgelernt hatte. Sie ist in Hannover.
    Da sind jetzt schon die Engländer, sagte er. Auch in Petershagen. Die haben es hinter sich.
    Hoffentlich gabs keine Vergewaltigungen.
    Nein, nicht bei den Engländern.
    Sie beobachtete ihn und sah in seinem Gesicht, daß er nachdachte, er rechnet, dachte sie, er rechnet jetzt dein Alter aus. Er bemerkt in diesem Augenblick, daß du seine Mutter sein könntest, dieser Blick, der nicht sie, sondern nur einen Teil von ihr traf, etwas an der Oberfläche. Irritiert drehte sie sich dem Herd zu und rührte die aufwallende falsche Krebssuppe um, schmeckte ab, gab noch etwas Salz hinzu und getrockneten Dill. Gleich ist es soweit, sagte sie.
     
    Sie hatten sich unterhalten, sie hatten in einem Keller gesessen, sie waren durch den Regen unter einer Plane nach Hause gegangen. Mehr nicht. Zunächst.
    Sie strickte, als sie das sagte, an dem rechten Hügel im Pullover, hin und wieder – langsam – tasteten ihre Hände die Maschen ab. Dann arbeiteten wieder die Nadeln. Ich wollte wissen, was sie damals in der Kantine gemacht habe. Gekocht? Nee. Ich hab die geleitet. Also Essen und so organisiert. Aber gelernt hab ich Täschnerin. Ledersachen. Schöner Beruf. Bekam aber nach der Lehre keine Stelle und war dann Serviererin in dem Café Lehfeld. Dort hat sie ihren Mann kennengelernt, den Willi, den alle Gary nannten. Sie bediente ihn, und er lud sie zu einem Pharisäer ein. Sie sagte, selbstverständlich und ohne zu zögern, nein und fragte ihn, ob er wohl glaube, der Kaiser von China zu sein. Ja doch, sagte er, zog einen Taschenkamm aus der Hose, legte die feine Papierserviette um den Kamm und begann auf dem Kamm die Melodie Immer nur lächeln zu blasen. Im Café brachen die Gespräche ab, alle starrten zu ihnen hinüber, und da hatte sie schnell ja gesagt. Ich wurd gleich in der ersten Nacht schwanger, obwohl mir mein Arzt gesagt hatte, ich kann mit meinem Eileiterknick nicht schwanger werden. Hab dann nach dem zweiten Kind nicht mehr gearbeitet. Im Krieg dienstverpflichtet in die Kantine, erst Abrechnung und dann, mit Beginn des Rußlandfeldzugs, als der Kantinenleiter eingezogen wurde, hab ich den Posten übernommen, sozusagen als Stellvertreterin. Die Behörde ist ja kriegswichtig, also auch die Kantine. Der Koch ist gut, ein Zauberer, ein Wiener, Holzinger, hat früher in Wien, im Erzherzog Johann , gekocht. Kann wirklich aus allem etwas machen. Gewürze, sagt er, das ist es. Gewürze, das sind auf der Zunge die Erinnerungen an das Paradies. Sie stellte Teller auf den Tisch, nahm die gestärkten, seit gut zwei Jahren unbenutzten Damastservietten aus der Schublade, holte aus der Kammer die Flasche Madeira, die sie zu ihrem 40. Geburtstag vor drei Jahren vom Behördenleiter bekommen hatte, gab Bremer einen Korkenzieher.
    Sie stellte drei Kerzen auf den Tisch. Gleich drei? Klar, nicht gehuckelt, sagte sie, holte auch das kleine Stück Butter aus der Kammer, das für drei Tage reichen sollte, und legte es ihm auf den Teller, drei Scheiben Graubrot, schöpfte ihm die Suppe auf den Teller, streute etwas Petersilie, die sie am Wohnzimmerfenster in einem Kasten zog, auf die Suppe. Prost, sagte sie, und sie stießen mit dem Madeira an. Ein Wein, so süß, daß er Bremer den Mund verklebte. Guten Appetit, sagte sie, aber die Augen schließen! Er löffelte brav mit geschlossenen Augen. Tatsächlich, sagte er, tatsächlich, es schmeckt wie Krebssuppe. Er sagte ihr nicht, daß er noch vor sechs Wochen Hummer und Krabben in Oslo gegessen hatte, mit Meerrettichsahne. Tatsächlich, dachte er, wenn er versuchte, diesen Geschmack zu vergleichen mit dem von vor sechs Wochen, vielleicht ist es ja auch der Hunger, dieser Bärenhunger, er hatte seit drei Tagen nicht mehr warm gegessen, reinschlingen konnte er nicht, er mußte ja schmecken, langsam essen. Durchsichtige Augen hatte sie. Ja, es schmeckte wie Krebssuppe, man mußte nur die Augen schließen, von fern schmeckte es wie Krebssuppe, nur nicht so penetrant, genaugenommen weit besser.
    Sie hatte nie kochen mögen. Vielleicht lag es auch an ihrem Vater, der dasaß und das Essen in sich hineinschaufelte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher