Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
hatte, denn wenn das Baby wach war, konnte man sich nicht so gut unterhalten.
    Mrs Reed verschmähte den Schaukelstuhl und nahm auf einem geradlehnigen Stuhl Platz. Sie war eindeutig nicht zum Vergnügen da, sondern wollte etwas Wichtiges besprechen; ein Schaukelstuhl schien da nicht angemessen zu sein. Einen mit braunem Zucker gesüßten Kaffee nahm sie jedoch an.
    Â»Was, im Namen des Herrn, machen Sie hier, Honor Bright?«, fragte Mrs Reed. Sie nahm einen Schluck Kaffee, verzog das Gesicht und griff nach der Zuckerdose. »Ich meine, außer den Kaffee anbrennen zu lassen. Ich wusste nicht einmal, dass Sie in Wellington sind, bis Virginie es mir erzählt hat. Als ich mich bei Adam Cox nach dem Baby erkundigt habe, hat er mir gesagt, dass Sie es bekommen haben, aber dass Sie in Wellington sind, hat er mit keinem Wort erwähnt.«
    Â»Wie geht es Virginies kleiner Tochter?« Honor versuchte die Aufmerksamkeit von sich abzulenken.
    Â»Dem Mädchen, das krank war? Der geht’s wieder gut. Ein bisschen Chilipfeffer hat ihr die Erkältung aus dem Körper geblasen. Sie sind noch ein paar Tage bei mir geblieben und haben sich dann auf den Weg nach Sandusky gemacht. Mit ein bisschen Glück sollten sie mittlerweile dort angekommen sein und auf ein Boot warten. Aber lenken Sie nicht vom Thema ab, Honor. Ich bin nicht wegen Virginie und ihrer Kinder vorbeigekommen, sondern wegen Ihnen. Warum sind Sie hier und nicht bei Ihrem Mann?« Mrs Reed sah Honor fest an, die Augen hinter den Brillengläsern waren jetzt klar zu sehen. Ihr Blick war offen und ehrlich, weder wütend noch traurig oder enttäuscht. Nach all den verstohlenen Blicken, mit denen Honor bedacht worden war, seit sie bei Belle in Wellington lebte, empfand sie diese Direktheit als Wohltat. Sie nahm sich vor, genauso offen und ehrlich zu antworten.
    Â»Die Haymakers und ich sind unterschiedlicher Meinung, wie wir uns den entflohenen Sklaven gegenüber verhalten sollen«, sagte sie. »Und deshalb habe ich das Gefühl, dass ich nicht zu dieser Familie gehöre und es auch niemals tun werde.«
    Mrs Reed nickte. »So viel hat Virginie mir schon erzählt. Ist das der einzige Grund? Wenn das so ist, reicht es nämlich nicht.«
    Honor blickte ihre Besucherin fragend an.
    Â»Honor, glauben Sie etwa, Sie allein könnten all die Flüchtlinge retten? Glauben Sie allen Ernstes, das bisschen Essen, das Sie ihnen geben, oder die Mütze voll Schlaf, die Flüchtlinge in Ihrer Scheune bekommen, machten den Kohl wirklich fett? Die entflohenen Sklaven haben schon Hunderte von Meilen hinter sich und oft Fürchterliches durchgemacht, bis sie zu Ihnen kommen. Sie sind nur ein kleines Glied in der Kette, Honor. Natürlich sind wir dankbar für alles, was Sie getan haben, aber wir sind auch vor Ihrer Ankunft im letzten Jahr zurechtgekommen und werden es weiterhin schaffen. Jemand anders wird Ihren Platz einnehmen, oder die Eisenbahnstrecke ändert sich, das ist alles. Wir machen das schon sehr lange und werden es auch noch eine Weile weiter tun. Wissen Sie, wie viele Sklaven es im Süden gibt?«
    Honor schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf ihre im Schoß verschränkten Hände, damit Mrs Reed nicht sah, dass ihr Tränen in die Augen gestiegen waren.
    Â»Millionen. Millionen! Und wie vielen haben Sie im letzten Jahr geholfen? Vielleicht zwanzig? Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Und wir haben einen langen Atem. Es gibt also keinen Grund, dass Sie Ihre Ehe riskieren, Honor, das wäre einfach dumm. Jeder entflohene Sklave würde Ihnen genau das Gleiche sagen. Die Flüchtlinge wollen nur eins: Freiheit. Sie wollen so leben wie Sie, Honor. Wenn Sie Ihre Freiheit leichtfertig für die entflohenen Sklaven aufs Spiel setzen, ist das, als würden Sie die Träume dieser Menschen verhöhnen.«
    Honor gab es auf, ihre Tränen zu verbergen, und ließ ihnen freien Lauf.
    Â»Ich weiß nicht, wie Belle dazu steht, aber einer musste Ihnen mal die Meinung sagen und Ihnen den Kopf zurechtrücken.«
    Â»Wenn man zusammen unter einem Dach lebt, kann man sich nicht so leicht die Meinung sagen, weil man nachher wieder miteinander zurechtkommen muss.«
    Belle lehnte in der Tür. Jetzt, nach dem Aufstehen, hatte ihr Gesicht wieder etwas Farbe bekommen, auch wenn das Grau nicht ganz daraus verschwunden war. »Ich bin aber froh, dass du sie zur Vernunft bringen willst.« Belle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher