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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle
Autoren: Andreas Gruber
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an und verschwand durch die offene Tür ins Innere des Hauses.

2
     
    Peter Hogart stand in Doktor Abel Ostrovskys Wohnzimmer. Im Türspalt zum Nebenraum leuchteten die Blitzlichter des Kripofotografen, und über die Treppe drangen die Wortfetzen und Schritte der Spurensicherer vom oberen Stockwerk herunter.
    Aus der Vorhalle hörte Hogart die Stimmen von Eichinger, Garek und seinem Bruder. Rasch sah er sich im Wohnzimmer um. Der dunkle Raum wurde von einem wuchtigen Teppich, massiven Wandschränken und einem gewaltigen Kronleuchter beherrscht. Auf den schweren Kommoden standen gusseiserne Kerzenständer, eine Pergamentrolle in hebräischer Schrift unter einem Glassturz und merkwürdige Ton- und Steinskulpturen in Glasvitrinen.
    Hogart fiel auf, dass sich Aushöhlungen in den Türrahmen befanden, worin bemalte und mit Schnitzereien verzierte Schriftkapseln steckten. Die Papierrollen darin beinhalteten Gebete aus der Tora. Er kannte diese Glücksbringer vom Flohmarkt, nur hatte er sie bislang noch nie in einem Haus gesehen.
    Als Hogart durch den Raum schlich, fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt. Sein Vater hatte unter anderem einen Antiquitätenladen besessen und jede Menge Krempel in der Wohnung gestapelt, weil die Verkaufsräume zu klein waren. Für seinen um drei Jahre jüngeren Bruder waren die drückenden Gegenstände immer eine Belastung gewesen, doch Hogart hatte sich zwischen den Antiquitäten wie ein Fisch im Wasser gefühlt.
    Je genauer er sich umsah, desto mehr kam er zu dem Entschluss, dass Ostrovsky keinem Einbruchdiebstahl zum Opfer gefallen war. Keine hellen Flecken auf der Tapete, keine einzelnen Nägel an den Wänden. Der Mörder hatte nicht einen der antiken Bilderrahmen gestohlen. Mit Sicherheit gab es wertvollere Objekte im Haus, aber zumindest das silberne Amulett mit den hebräischen Buchstaben auf dem Couchtisch, die Kette mit dem Davidsstern als Anhänger oder der kleine siebenarmige, mit Diamanten besetzte Leuchter hätte in jede Tasche gepasst - und kein Dieb hätte sich die Gelegenheit entgehen lassen, diese Menora einzusacken.
    Als Hogart um einen hölzernen Raumteiler mit Topfpflanzen herumging, sah er die mit Kreide gezeichneten Umrisse auf dem Teppichboden. Die Leiche befand sich längst in der Gerichtsmedizin. Da Ostrovsky am Freitagabend sein letztes Telefonat mit Kurt geführt hatte, war er vermutlich kurz darauf ermordet worden. Andernfalls hätte er versucht, Kurt am nächsten Tag erneut zu erreichen. Hogart starrte auf die Kreidelinien mit den Umrissen eines Menschen in Fötusstellung. Es sah so aus, als hätte jemand Ostrovskys Beine gefesselt und ihm die Arme auf den Rücken gebunden. Anders ließ sich diese verrenkte Stellung nicht erklären.
    Neben den Umrissen lag ein umgekippter Stuhl. Hogart ging in die Hocke. An den Stuhlbeinen befanden sich Reibspuren eines Seils, das sich vermutlich bereits im Labor befand. Es war nicht notwendig, sich den Bericht des Gerichtsmediziners zu besorgen. Die Spuren sprachen Bände. Brutal ermordet - wie es in der Zeitung hieß - war die Untertreibung des Jahres. Den über dem gesamten Teppich verstreuten dunklen Flecken zufolge musste der Mörder sein Opfer auf schreckliche Weise verstümmelt haben.
    Neben dem Stuhl stand eine Lampe mit gefiltertem Ultraviolett-Licht. Hogart tippte mit der Schuhspitze auf den Schalter, sodass das Licht den Teppich überflutete. Plötzlich entstand ein Meer unterschiedlichster Flecken, die alles Mögliche bedeuten konnten: Blut, Urin, Speichel, Sperma oder Schweiß. Doch wegen des Eisengehalts erschienen Blutflecken stets schwarz, und davon gab es mehr als genug. Man musste kein Kriminaltechniker sein, um zu erkennen, dass es sich dabei um keine gewöhnlichen Spritzspuren, sondern um Schleuderspuren handelte. Die Blutflecken reichten meterweit durchs Zimmer. Der Mörder hatte sein Opfer mit wilden, wahllos durchgeführten Schnitten regelrecht abgeschlachtet. Die Messerklinge musste mit raschen Zügen über Ostrovskys Gesicht, seinen Hals, seine Arme oder Beine gezogen worden sein, da das von der Klinge weggeschleuderte Blut sogar auf der Glasvitrine klebte, die neben dem Raumteiler stand. Auf eine Scheibe hatte jemand mit dem Blut die Zahlen 05 geschmiert.
    Außerdem musste der Mörder auf einer Folie oder einem Tuch von etwa vier Quadratmetern gestanden haben, das er nach der Tat möglicherweise zusammengerollt hatte, um keine Fußabdrücke zu hinterlassen. Ein solcher Anblick war Hogart nicht
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