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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle
Autoren: Andreas Gruber
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sich noch im Haus. Hogart wartete noch einige Minuten, bis die Beamten vom Wohnzimmer auf die Terrasse gingen. Er hörte, wie sie sich draußen Zigaretten ansteckten, während sie redeten.
    »Wer ist der Kerl dort draußen eigentlich?«
    »Der Typ, der ständig hier angerufen hat.«
    »Rolf hat ihn ganz schön in der Mangel.«
    Die Männer lachten. Hogart nutzte die Chance und lief durchs Wohnzimmer zur anderen Seite des Hauses. Die Überzieher raschelten auf dem Teppichboden, doch die Ermittler waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihn hörten. Offensichtlich arbeiteten zurzeit nicht mehr Beamte im Haus, da keine Geräusche aus den anderen Räumen drangen.
    Im Salon öffnete Hogart alle Kommoden, durchsuchte die Minibar und stieg auf einen Stuhl, um die Abdeckung der Klimaanlage abzunehmen. Doch in der Wandvertiefung befanden sich nichts als Staub und Spinnweben.
    In der Küche öffnete Hogart den Kühlschrank, alle Schränke und Schubladen, durchwühlte den Serviettenhalter, die Zuckerund Mehldose und warf sogar einen Blick in den Schlitz des Toasters. Die Abschlussleiste der Küchenmöbel ließ sich nicht abnehmen, sonst hätte er die Videokassette unter der Einbauzeile vermutet. Neben der Küche lag die Toilette. Vorsichtig hob Hogart den schweren Keramikdeckel des Spülkastens hoch. Ein beliebtes Versteck, um Geheimnisse zu verbergen - doch weder im Kasten noch unter dem Deckel befand sich eine Kassette.
    Sein nächster Weg führte ihn ins Badezimmer, ein großer Raum mit zwei Handwaschbecken, einer Duschkabine, einer Badewanne mit goldenen Fliesen und goldenen Armaturen. Durch den gewaltigen Spiegel im Barockrahmen wirkte der Raum doppelt so groß. Da erblickte Hogart hinter sich eine glatzköpfige Gestalt. Mit hochgerissenen Armen fuhr er herum, doch der Mann bewegte sich nicht. Hogart atmete tief durch. Er stand einer menschengroßen Puppe gegenüber, auf deren Oberfläche Reflexzonen und Akupressur-Punkte mit roten Kreisen und Linien aufgemalt waren. In der Praxis seines Bruders stand eine ähnliche Puppe, mit der Kurt seinen Patienten die Wirkung bestimmter Druckpunkte oder Massagetechniken erläuterte.
    Hogarts Herz raste immer noch. Er sah sich eilig im Badezimmer um und bemerkte, dass an den Eisenringen, die an der Vorhangstange über der Badewanne baumelten, noch Kunststofffetzen hingen. Der Mörder hatte den Vorhang heruntergerissen und die vier Quadratmeter Folie als Schauplatz für seine Folter auserkoren.
    Bis auf die Schränke, die nichts weiter als Handtücher und Toilettenartikel beinhalteten, gab es kein weiteres Versteck für eine Videokassette. Hogart stand unschlüssig inmitten des Raums. Durch das gekippte Fenster hörte er Gareks Stimme und die seines Bruders vom Eingangsbereich. Das Verhör dauerte immer noch an, doch im nächsten Moment hörte er, wie sich die Männer verabschiedeten. Ihm blieben nur noch wenige Augenblicke, bis man ihn im Haus entdecken würde. Warum zum Teufel ausgerechnet Kurt? Bis auf das Dozenten-Studenten-Verhältnis an der Uni, die gemeinsamen Jahre im Krankenhaus und ein paar sporadische Treffen verband Ostrovsky nichts mit Kurt. Wo lag der Bezug zwischen den beiden? Der eine war Primär und Rückenmarkspezialist geworden und der andere orthopädischer Arzt mit chiropraktischer Ausbildung. Und doch musste es eine Gemeinsamkeit geben … die Puppe! Hogart wandte sich um und starrte auf die lebensgroße Figur. Ein Arm hing schlaff an der Seite herunter, der andere zeigte mitten in den Raum. Nein, nicht mitten in den Raum, sondern auf die Badewanne. Falls das der Hinweis war, den Ostrovsky hinterlassen hatte, würde nur Kurt ihn deuten können.
    Hogart kniete sich vor die Wanne und klopfte die Fliesen ab. Eine Kachel in der unteren Reihe klang hohl. Die Putztür für den Abfluss. Dahinter verbargen sich für gewöhnlich die Rohre. Als Hogart die Fliese mit den Fingerspitzen aus der Vertiefung hob, entdeckte er die Kassette eines Camcorders. Ein 8-mm-Videoband von Sony. Die Hülle trug die Nummer 348.
    Während Hogart das Band betrachtete, erklangen Gareks und Eichingers Stimmen aus dem Wohnzimmer. Obwohl er die beiden schon so lange kannte, war er sich unschlüssig, ob er ihnen trauen konnte. Grundsätzlich schon - immerhin ging es um Mord, den die beiden aufklären mussten -, doch andererseits wusste er, wie rasch Beweismittel im Innenministerium verschwinden konnten, falls die entsprechende Anweisung von oben kam. Außerdem haftete immer noch
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