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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle
Autoren: Andreas Gruber
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unbekannt, da er als Versicherungsdetektiv bei Fällen von Einbruch, Unfall oder Totschlag gelegentlich mit der Wiener Kripo zusammenarbeitete. Doch eine Sache war ihm noch nie untergekommen. Neben dem Stuhl stand ein Wassereimer, in dem ein blutiger Schwamm trieb. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben. Der Peiniger musste Ostrovsky mehrmals zu Bewusstsein geholt haben. Demnach war die Misshandlung eine vorsätzlich inszenierte Folter gewesen. Doch aus welchem Grund sollte jemand einen alten, zurückgezogen lebenden Rentner quälen? Hogart dachte an das ominöse Videoband.
    Auf der Kommode neben dem Telefon lag ein aufgeschlagenes Telefonbuch: Seeger bis Setznagel. Hogart schloss für einen Augenblick die Augen und versuchte, die letzten Stunden vor Ostrovskys Tod zu rekonstruieren. Möglicherweise führte Ostrovsky an jenem Abend ein Gespräch. Dabei hörte er, wie jemand an der Rückseite der Villa eine Scheibe einschlug. Ein Fremder war ins Haus eingedrungen, und der pensionierte Primär wusste, dass ihm etwas Schreckliches zustoßen würde. Ihm blieben nur noch wenige Sekunden. Er machte sich auf den Weg, um das Einzige, was ihm noch wichtig erschien zu erledigen: eine bestimmte Videokassette zu verstecken. Während er durch die Räume rannte, rief er vom Handy aber nicht die Polizei sondern seinen ehemaligen Studenten Kurt Hogart an. Ostrovsky erreichte aber nur den Anrufbeantworter, worauf er gehetzt seine letzte Nachricht sprach. Danach musste er seinem Mörder in die Hände gefallen sein. Der alte Mann war leicht zu überwältigen gewesen. An den Stuhl gefesselt wurde er gefoltert und musste mehrmals zu Bewusstsein geholt werden. Entweder war Ostrovsky zäh, oder er schwieg, weil er gar nicht wusste, was sein Peiniger von ihm wollte.
    Hogart schreckte hoch, als er einen Beamten die Treppe herunterkommen hörte. Rasch schlüpfte er in den nächsten Raum und versteckte sich hinter der an die Wand gelehnten Tür.
    »Welcher Idiot hat die Lampe brennen lassen?«, brüllte der Beamte durchs Haus. »Krajnik, warst du das?«
    »Leck mich!«, dröhnte es vom oberen Stockwerk herunter.
    Hogarts Herz schlug bis zum Hals. Er hörte, wie der Mann das Gerät ausknipste, danach drang das Schnalzen von Gummihandschuhen durch den Raum.
    Hogart atmete flach. An die Wand gepresst blickte er zum Türstock hinauf. Auch hier lag eine Schriftkapsel in einer aus dem Rahmen geschnittenen Aushöhlung. Angeblich brachte es Glück, wenn man die Mesusa berührte, doch Hogart fasste sie nicht an. Nicht einmal Ostrovsky hatten die Gebete Glück gebracht, und er hatte sicher daran geglaubt.
    Vorsichtig lugte Hogart hinter der Tür hervor. Offensichtlich befand er sich im Arbeitszimmer des Primars. Ihm gegenüber stand ein Schreibtisch, auf dem eine Kippa und ein Gebetsbuch für Chanukka lagen. Auf dem Kleiderständer neben der Stehlampe hing eine schwarze Robe mit Zipfelquasten, dahinter füllte ein wuchtiger Wandschrank mit bis zum Platzen voll geräumten Regalen den Raum aus.
    Während weitere Schritte die Treppe herunterkamen, betrachtete Hogart die beschrifteten Aufkleber der Musikkassetten, die sich zu Hunderten in den Regalen stapelten. Nur Nummern, ohne jede Erklärung. Darunter standen ein Fernsehgerät und ein Videorekorder. Neben der Fernbedienung lag ein Adapter mit dem Format einer VHS-Videokassette zum Abspielen von Bändern eines Camcorders.
    Im Nebenraum unterhielten sich die Beamten lautstark über Belanglosigkeiten. Plötzlich erschien Hogart das Gespräch wie ausgeblendet, als ihm dämmerte, was Ostrovsky bei seinem Anruf tatsächlich gemeint hatte. Der Primär hatte von keiner VHS-Videokassette gesprochen, sondern von dem Band einer Videokamera - und die Hunderte Hüllen im Schrank enthielten keine Musikkassetten, sondern 8-mm-Filmbänder. Daher der Adapter. Womöglich hatte sich Ostrovsky in der Mordnacht kurz vor seinem Tod jene bestimmte Kassette angesehen - und der Adapter lag nicht zufällig neben dem Videorekorder. Das Gerät war sogar noch eingeschaltet. Die Uhrzeit blinkte.
    Hogart betrachtete die Kassetten. Sie waren allesamt durchnummeriert, doch in der dritten Reihe von unten fehlte eine: die Nummer 348. Vorsichtig verließ Hogart sein Versteck hinter der Tür. Er warf einen Blick in den Adapter, der allerdings leer war. Mit den Fingern öffnete er die Klappe des Videorekorders, dessen Fach ebenfalls leer war. Entweder hatte der Mörder das Band mitgenommen, die Kripo es sichergestellt … oder es befand
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