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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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des Wohnwagens war aus ihrem Rahmen getreten worden, Glasscherben lagen versprengt im Gras. Die Classens hatten sich befreit. Doch was war anschließend geschehen? Hatten sie sich zu Fuß davongemacht, Hilfe zu holen? Dies ist unser erster Hoffnungsschimmer, dachte sie, seit sie Raschkes Mietwagen bestiegen hatten und Myrbäck ihn mit vorgehaltenem Gewehr an der Stirn zu ihrem Haus gelenkt hatte. Kein einziges Auto war ihnen begegnet. Keine Menschenseele, der sie hätten Zeichen geben können. Immerhin Holzapfel war aus seiner Ohnmacht erwacht. Mehr als einmal waren sie durch Kuhlen gerast, dabei war sein Kopf aufgeschlagen, schließlich hatte er sein eines Auge geöffnet. Gut sah es nicht um ihn aus.
    – Wo sind die Classens?, fragte Myrbäck. Die Adern an seinem Hals waren geschwollen, sie sah, wie das Blut rhythmisch in ihnen pumpte. Raschke presste ihm das Gewehr an die Brust. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort.
    – Sie haben ihr Quartier im Keller aufgeschlagen. Sie feierten kurz ihre Befreiung, aber ich hatte eine lustigere Idee für sie.
    Er stieß Myrbäck und sie bis vor die Veranda. Erst jetzt sah sie, dass die Tür zum Haus eingetreten worden war. Irgendjemand hatte Koffer und Reisetaschen im Haus zusammengesucht und sie auf die Veranda geschmissen, in ätzendem Zorn, achtlos. In dem Haufen entdeckte sie den Schmetterlingskoffer ihrer Schwester. Er stand offen, sein Deckel hing schief an einem Scharnier. Die Papiertütchen mit den Schmetterlingen waren herausgerutscht, Bläulinge und Schwalbenschwänze lagen verteilt zwischen dem Hausrat, andere hatte der Wind von der Veranda gepustet.
    Ich werde dem hier nicht standhalten, dachte sie. Werde es nicht überstehen.
    – Dann mal raus mit der Überraschung. Raschke stand vor ihr und sah sie gespannt an. Ein Muskel unter seinem linken Auge zuckte.
    – Also. Wo ist die Kiste?
    – Irgendwo hier. Such doch selbst.
    Raschkes breiter Mund schnappte zu.
    Der lichte Lockenkranz auf seinem Schädel schaukelte mit, als er sie mit der Faust auf die Wange schlug.
    Sie riss die Arme über den Kopf. Dann fühlte sie einen warmen Blutgeschmack im Mund. Mit der Zunge konnte sie kleine Bröckchen ihres eigenen Fleisches fühlen.
    Spät hörte sie Myrbäcks Schrei. Durch einen Schleier vor Augen verfolgte sie, wie er sich in das Beet bückte, um sich mit einer Unkrauthacke zu bewaffnen. Raschke nahm Anlauf und rammte ihm den Stiefel gegen den Brustkorb. Er stürzte auf den Rücken, hielt sich den Bauch und rollte sich in Schmerzen auf die Seite. Raschke prügelte weiter auf ihn ein. Als sie das nächste Mal hinsah, lag Knut flach auf dem Rasen und starrte in die Luft. Er gab keinen Laut von sich.
    Raschke stand plötzlich über ihr. Wo seine Haut über den Wangenknochen spannte, war sie weiß wie Porzellan.
    – Was willst du? Sterben? Er lächelte flüchtig, stemmte seinen Fuß auf ihren Hals und trat sachte zu. Nicht einmal der Schmerz tat ihr noch weh.
    – Ich schenke dir eine Minute Leben. Du solltest sie nutzen.
    Blut sammelte sich in ihrer Mundhöhle, ein Saft, der nach Salz schmeckte und nach eisernen Geländerstangen, wenn man an ihnen leckt, weil man noch neugierig auf alles ist. Sie war zu schwach, sich aufzurichten und ihn auszuspucken. Er rann in ihre Kehle, und sie half mit ein paar Schlucken nach. Als Nächstes spürte sie, wie ihr Kopf und ihre Schultern mit einem Ruck hochgerissen wurden. In ihrem Rückgrat knirschte es, und sie dachte, dass es einmal ein schönes Kleid gewesen ist, das Heidi da trug. Jetzt aber waren die weißen Tupfen auf dem leuchtenden gelben Grund mit Dreck und Schlimmerem verschmiert, über und über, und sein Saum hing in Fetzen über ihren blutigen Schenkeln.
    Sie begriff es sofort, als da etwas in Raschkes Kopf entzweiging. Nicht weil er plötzlich die Augen schloss und von ihr abließ, sondern weil das Geräusch in seinem Schädelknochen klang wie das Aufkrachen riesiger Eiszapfen auf einer Winterstraße. Der nächste Schlag, der ihn traf, zertrümmerte die Knochen seiner rechten Wange. Es war eine Kiste, die da in den Händen Heidis durch die Luft sauste, das sah sie jetzt, und sie schlug im Gesicht Raschkes auf, wieder und wieder, bis er mit einem leisen Wehklagen zusammensackte.
    Sie alle lagen still. Kein Ruf war zu hören, kein Flüstern, noch nicht einmal ein Atmen. Als Sassie sich fragte, ob diese luftleere Stille den Tod bedeutete, schob eine Hand ihr die Haare sanft aus dem Gesicht. Es war Heidis Hand. Sie atmete
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