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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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schwer, und sie stank stechend nach Pisse und Schweiß, nach Tränen. Blut klebte an ihren Händen, im Gesicht, in ihren Brauen. Sie sagte kein Wort. Auf allen vieren zog sie den toten Raschke mit sich fort, schleifte ihn wie ein Beutestück bis vor den Fäkalientank des Lövgren’schen Sommerhauses.
    Sie schnappte keuchend nach Luft und ging torkelnd in die Hocke. Stück um Stück wuchtete sie die Zementplatte beiseite, packte den Körper Raschkes an seinen Schultern und ließ ihn mit dem Kopf voran in die Brühe gleiten. Als endlich seine Schuhe versanken, schwappte eine bräunliche Welle auf das Gras.
    Wankend kehrte Heidi zu ihr zurück, suchte die Metallkiste und warf sie mit beiden Händen in den Schlund des Tanks. Klatschend schlug das schwarze Ding auf und ließ einen feinen Sprühregen durch die Luft segeln.
    Erst als das Wasser still lag, zog der Gestank von Plumpsklo in Sassies Nase.

W oissiehinn? Jans schief geschlagener Kiefer brachte keine deutlichen Worte mehr hervor.
    – Sie hat ihr Zeugs genommen. Alles, was ihr wichtig ist. Gepackt und weg.
    Wenn Myrbäck so schnell sprach wie jetzt, zu tief Luft holte, rasselte es in seiner Lunge. Raschke hatte ihn schlimm verprügelt. Da waren einige seiner Rippen angebrochen, mindestens, doch das Glück darüber, Überlebender zu sein, dämpfte das Wundtoben in seiner Brust.
    Myrbäck zählte auf:
    – Ihre Briefe hat sie eingesammelt, ihre Fotografien, die Schmetterlinge der Schwester. Das Seven-Up-Shirt, das ich ihr geschenkt habe. Deine Fellhausschuhe.
    Mit jedem Wort, das er sprach, wuchs seine Angst. Die Vorstellung, nie wieder in die Augen Sassies zu blicken, nie wieder über ihre Haut streichen zu können, plagte ihn ärger als jedes körperliche Leid.
    – Es darf nicht sein, sagte er.
    – Was?
    – Dass ich sie nie wieder sehe. Myrbäck sah zum Himmel auf. Er richtete seine Worte nicht an Holzapfel. Der schien sich allmählich zu erholen, auch wenn sein Auge noch geschlossen war. Ab und an sickerte eine blutige Träne zwischen seinen Lidern hervor. Er hatte sogar unter Stöhnen geholfen, Sven und Carla Classen aus dem düsteren Vorratskeller zu befreien. Dann war der Durst der Töchter Mieke und Merle mit je einem Glas Himbeersaft gelöscht worden, die Tür zum Haus wieder eingehängt, die Schnittwunden Heidis mit kühlenden Waschlappen versorgt; es war das Wohnmobil aufgestellt, schließlich die Suche nach Sassie Linné begonnen, jedoch ergebnislos aufgegeben worden.
    Im letzten Tageslicht langten sie am Fuße der Bunkeranlagen an. Kaum waren sie aus dem Wohnmobil gestiegen, hatte Sven Classen gewendet und Reißaus genommen. Das Letzte, was sie von seiner Familie zu sehen bekamen, waren die Gesichter der Mädchen. Neugierig schauten sie durch das Rückfenster und winkten zum Abschied.
    – Ich nehm ihm das nicht übel, sagte Myrbäck. Mit Frau und Kindern in so einer Sache zu landen.
    – Wir haben ihn nicht eingeladen. Holzapfel sprach jedes Wort einzeln aus.
    Seite an Seite schleppten sie sich über den Strand ans Ufer.
    Ihr Boot lag, wo er es im Morgengrauen vertäut hatte. Myrbäck löste die Leine und zog das Boot mit den Wellen auf den Ufersand. Es kam ihm überraschend schwer vor. Aber das schob er auf seine durchgeprügelten Muskeln, scheinbar ein jeder auf unerklärliche, mitleidende Weise mit dem Rippenfell verbunden.
    Es war ein Aufschrei Holzapfels, der ihn auffahren ließ. Zusammengekauert auf der Steuerbank lag Jana, die sie schlaftrunken und fiebrig anstarrte. Ihr rechtes Bein hing steif in der Luft. Die Schusswunde lag offen, sie sah feuerrot aus, böse.
    Überraschend wendig schwang sich Holzapfel über die Reling des Bootes, das noch immer keinen Grund unter seinem Kiel hatte und unruhig in der Brandung schaukelte. Im Bestreben, es ihm gleichzutun, stemmte Myrbäck sich an der Bordwand hoch, verharrte kurz mit beiden Beinen in der Schwebe, verlor den Halt, legte eine halbe Drehung hin und schlug backbords mit dem Steißbein auf der Ruderdolle auf.
    Als er in einem Meer von Schmerzen aus seiner Ohnmacht erwachte, geschah dies mit einer merkwürdigen Heiterkeit und der kristallklaren Erinnerung an einen Sturz vom son nenwarmen Dach des großelterlichen Hühnerstalls mitten in eine Schar pickender Hühner. Auch wenn er es in diesem Moment nicht begriff, so war er doch auf einen Schlag eine funktionelle Beinlängendifferenz losgeworden, die laut ärztlichem Attest acht Millimeter betrug und vor einem Vierteljahrhundert in ihn gefahren
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