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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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Raschke lag in den Trümmern der Werkstatt. Dirk Raschke hat ihn dort abgelegt.
    – Warum?
    – Praktische Gründe. Du kannst mir glauben, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht bereue. Mein Bruder hätte einen besseren Ort zum Sterben verdient als das Rattenloch unter unserer Werkstatt.
    Ein schwaches Zucken ging durch Holzapfels Körper. Er begann, seinen Kopf von Myrbäcks Schulter zu lösen. Er gab einen ächzenden Laut von sich und fragte, kaum hörbar:
    – Du?
    – Da staunst du, was? Raschke hob seinen freien Arm und schlug mit der flachen Hand auf Jans Ohr.
    Er rutschte von Myrbäcks Schulter herab und blieb bewegungslos auf der Mitte des Weges liegen. Sein geschundener Körper, im Verein mit der seelischen Verwerfung, hatte ihn wieder in die Ohnmacht getrieben.
    Jana ließ sich entkräftet neben ihn fallen. Sie bettete seinen Kopf auf ihren Schoß.
    – War das zu viel für den Guten?, fragte Raschke spöttisch. Recht so. Er hat mich verraten, so wie auch Stanczak mich verraten hat. Und dich haben sie auch verarscht. Er sah Myrbäck an.
    – Aber du hast mal wieder nichts kapiert. Hast nicht begriffen, dass Jan und Zbigniew ihre eigene Reise vorbereiteten.
    – Reise?
    – In den Reichtum, ins unbesorgte Leben. Raus aus unserer Trümmerwerkstatt. Nun, dieser Ausflug endet hier. Jetzt hole ich mir, was ich brauche. Die Kiste.
    – Was holst du dir? Myrbäck fragte nach. Seine Ohren sausten, seit er vom Dach des Silos gestiegen war.
    – Hast du was auf den Ohren? Natürlich die Kiste.
    – Seit wann weißt du von der Kiste?
    – Seit Stanczak eines Tages in die Werkstatt kam und an mir vorbeisah. Mir nicht ein einziges Mal in die Augen blickte. Der Pole war ein schlechter Lügner. Und Holzapfel eine Plaudertasche. Die beiden haben ihre Pläne schlecht verborgen. Sie waren überheblich. Sie hielten mich für dumm, für begriffsstutzig. Bin ich aber nicht. Wer ein komisches Gesicht hat wie ich, dem traut man nichts zu.
    Myrbäck nickte. Er sah sich wieder in den Trümmern der Werkstatt in der Leverkusenstraße vor einem Loch im Boden stehen und auf einen verkohlten Rollstuhl starren. Eine Flut von Fragen wirbelte durch seinen Kopf. Aber doch bemerkte er, dass Sassie dabei war, sich von Raschke zu entfernen. Kaum merklich schob sie sich mit den Füßen seitwärts, ohne den Oberkörper zu bewegen. Wenn es ihm gelänge, den Totgeglaubten abzulenken, würde sie vielleicht zwischen die dicht stehenden Birken fliehen können.
    – Wie konnte alle Welt glauben, dass du in den Trümmern der Werkstatt liegst?
    – Kleines Kunststück. Es waren die Haare meines Bruders, die in meiner Bürste hingen. Er schlief in meinem Bett. Trug meine Kleider. Seine Zahnbürste hing an der Badezimmerwand. Er war ich. Kriminaltechniker sind auch nur Menschen. Und wo der Zahn nicht schmerzt, wird er nicht aufgebohrt.
    Raschke hatte seine eigene Wohnung mit der DNA des Bruders ausgestattet.
    – Niemand hat ihn vermisst?
    – Meinen Bruder? Witzig. Der letzte Mensch, der ihn vermisste, war unsere Mutter. Nein, er war ein Krüppel, ein Kranker. Ein Sterbender. Da wird es einem leicht gemacht, unbemerkt aus der Welt zu scheiden. Im Nichts zu verschwinden. Am Ende sah er niemanden außer mir. Ich habe ihn erlöst.
    Myrbäck sah ihn mit offenem Mund an.
    – Und dann habe ich mich unsichtbar gemacht. Noch immer weiß kein Mensch, dass ich am Leben bin. Stellt euch das mal vor.
    Raschkes tränenfeuchte Augen sehen aus wie dunkle Murmeln, dachte Myrbäck. Wie die Augen eines Nachttieres. Es beunruhigte ihn, dass Raschke nicht weitersprach. Seine langen und flinken Finger tanzten nervös über den Griff des Gewehrs. Er hielt die Waffe schief. Aber er hielt einen klugen Abstand zu ihnen.
    – Er ist der Unterhändler. Jana meldete sich zu Wort. Noch immer lag Holzapfel in ihren Armen.
    – Der Koreaner, sagte sie höhnisch. Du und ich, wir haben über den Preis der Kiste verhandelt.
    – Ja, wir hatten das Vergnügen. Raschke deutete einen Knicks an. Neugierig musterte er, wie sie Holzapfels blutleere Wangen tätschelte.
    – Wie hast du uns gefunden?
    – Holzapfels Schwester hat mich geführt. Ich habe ihr einen Käfig voller Kaninchen an Bord der Fähre geschleppt. Klasse Frau. Tolle Figur. Ich habe sie im Bootshaus verwahrt.
    – Du hast was?
    – Du hast richtig gehört, Myrbäck. Tut mir leid. Und ich bedaure, eines der Kaninchen geschlachtet zu haben.
    – Du warst das?
    – Gemein, was? Während ich auf dem Zeltplatz unter einer
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