Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Gesicht der törichten Jungfrauen hatte, da schloss sie mit den Worten: ›Und der Alte wird kommen und Gerechtigkeit üben und dem Sohn das Reich zurückgeben, und Erlösung werden jene finden, die sich selbst vergeben. ‹ Ich hielt es damals für eine allgemeine Floskel, die sich auf das Osterfest bezog, aber wenn ich es näher betrachte...«
    »Dann lest Ihr was daraus, Begine?«
    »Ihr werdet es mir beizeiten selbst sagen können, denke ich.«
    Der Herr vom Spiegel sah zu den Türmen von Groß Sankt Martin hin.
    »Ja, es ist Zeit zu reden. Der päpstliche Nuntius weilt am Hof des Erzbischofs, und man hat der Erteilung eines Dispens zugestimmt.«
    Almut sah nun sehr ernst zu ihm hoch und konnte sein Profil betrachten.
    »So einfach ist das?«
    »Nein, so einfach ist das natürlich nicht.« Es war ein Rest von Bitterkeit in seinem Lachen. »Einst hatte ich mich sehr scharf über die Geschäftspraktiken der Kirche und ihrer Kleriker ausgelassen. Die Ironie des Schicksals will es nun, dass ich mich genau derer bediene.« Er drehte sich zu ihr um. »Es ist ein gutes Geschäft, das sie dabei machen.«
    »Wie meint Ihr das? Müsst Ihr Euch freikaufen?«
    »So läuft das gewöhnlich. Wisst Ihr, Begine, dieses wundervolle Gebäude dort drüben«, er wies auf den halb fertigen Dom, »das Ihr als Baumeisterin so bewundert, schluckt ungeheure Mengen Geld. Steine, Bauholz, Blei, Kupfer, Glas... Eines der Glasfenster wird das Stifterwappen derer vom Spiegel tragen. Wie mein Vater bemerkte, solle es wohl nur gerecht sein, dass er eines für sein Leben stiftet, das andere für das meine.«
    »Puh!«, entfuhr es Almut. »Da gibt es aber Unterschiede. Die Fensterchen in unserer Kapelle sind Handtüchlein gegen die der Kathedrale.«
    »Er sieht es nicht so.«
    »Euer Vater zahlt also die Ablösesumme für das Gelübde.«
    »Diese und mehr, Begine. Wie Eure Seherin es richtig wahrnahm, will er mich wieder in meinen früheren Stand als sein Erbe eingesetzt wissen. Theo hat sich bereit erklärt, ihm die Güter, die ich als Pfründe gab, zu verkaufen. Zu einem angemessenen Preis.«
    »Ei wei!«
    »Nun, wir müssen gerecht bleiben, der Preis ist verhältnismäßig niedrig. Mich hat er vor allem deswegen dorthin geschickt, um das Ausmaß der Misswirtschaft zu bewerten, und ich kann bestätigen, viel sind die Höfe nicht mehr wert.«
    »Aber viel Arbeit muss hineingesteckt werden.«
    »Ein kleines Vermögen dazu. Außerdem, Begine, wurde eine Bitte an mich herangetragen, die ebenfalls erfüllt werden sollte. Groß Sankt Martin kann, wie jedes Kloster, nur eine begrenzte Zahl von Mönchen aufnehmen. Und man erwartet - trotz aller Armutsbezeugungen - dass die Anwärter auf den Ordensstand eine Mitgift mitbringen. Durch mein Ausscheiden aus der Gemeinschaft wird zwar ein Platz frei, aber der junge Schnitzer hat keinen nennenswerten Besitz außer seiner Begabung. Ich werde also sozusagen als sein Pate dienen.«
    »Barmherzige Mutter, man nimmt Euch aus.«
    »Zur höheren Ehre Gottes.«
    »Ketzer!«
    »Das wisst Ihr doch.«
    »Ja, das weiß ich. Und ich fürchte, ich fange an, sehr viel Geschmack an dieser Haltung zu finden.«
    »Ich weiß das auch.«
    »Es macht mich ungehalten, Herr, dass man Euch noch einmal bestraft. Wisst Ihr, ich habe viel über das Verkaufen von Reliquien nachgedacht und wollte Esteban verurteilen, weil er die Knochen Unbekannter als die von Heiligen ausgibt und sein Geld damit verdient. Ich habe über die Verwendung von Ablasszetteln nachgedacht, mit denen manch Kleriker die unfrommen Dienste der Bader bezahlt. Ich habe über den Lebenswandel der Geistlichen nachgedacht und besonders über Pater Leonhard, der mir das Geständnis von Sünden abpressen wollte und doch selbst die größten Ungerechtigkeiten beging. Ich habe über den Schreinemaker nachgedacht, der in Verehrung einer Heiligen Morde beging. Ich habe über Schuld und Sühne und Fegefeuer und Hölle nachgedacht.«
    »Und zu welchem Schluss seid Ihr gekommen?«
    »Ich erkannte, was der Prediger erkannte: ›Es gibt Gerechte, denen geht es, als hätten sie die Werke der Gottlosen getan, und es gibt Gottlose, denen es geht, als hätten sie Werke der Gerechten getan.‹ Und außerdem gibt es Gottlose, die über die Gerechten richten. Das will mich besonders verdrießen.«
    »So ging es mir auch lange Zeit. Denn diese Erkenntnis nimmt einem die Hoffnung auf eine höherer Gerechtigkeit, und Bitternis macht das Leben unerträglich. Dennoch - wir haben keine Wahl,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher