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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau
Autoren: Andrea Schacht
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vornehmlich den Mädchen der armen Familien eine gewisse Grundbildung zu vermitteln.
     
    Die elf Jungfrauen der heiligen Ursula, auf die sich der Titel bezieht, sind Legende - hochgeschätzt und geliebt von den Kölnern ist die Märtyrerin, und noch heute symbolisieren die elf Flammen im Stadtwappen sie und ihre Begleiterinnen.

Im heiligen Köln, vor und in der Fastenzeit des Jahres 1377 der Menschwerdung des Herrn

1. Kapitel
    D er Dreikönigstag des Jahres 1377 war der Bedeutung des Festes angemessen sonnig, wenn auch trocken und kalt. In den Straßen drängten sich die Menschen, die der Messe im Dom beigewohnt hatten, wo die Gebeine der drei Heiligen - Caspar, Melchior und Balthasar - in ihrem kostbaren goldenen Reliquienschrein ruhten. Die Kölner waren mehr als stolz auf diese Heiligen, die seit über zweihundert Jahren nun ihre letzte Ruhestätte in ihrer Stadt gefunden hatten. Pilger und Wallfahrer hatten sich eingefunden, und prächtige Prozessionen zogen durch die engen Straßen.
    Esteban, der Reliquienhändler, war mit seinem Geschäft zufrieden. Wann immer die Gläubigen sich zuhauf einfanden, um zu den Heiligen zu beten, wollten sie auch einen handfesten Beweis für deren Wohlwollen mit nach Hause nehmen. Er hatte Fläschchen mit geweihtem Dreikönigswasser verkauft, heilkräftige Amulette, die verschiedensten Reliquien in hübschen Behältnissen, vor allem die geschätzten Knöchelchen der Jungfrauen der heiligen Ursula, die zum Glück in großen Mengen vorrätig waren, aber auch handliche Breviere, holzgeschnitzte Kreuze, Paternosterschnüre aus Elfenbein- oder Glasperlen, bunte Andachtsbildchen und die begehrten Dreikönigszettel, auf denen in kunstvoller Schrift die Namen der Könige aus dem Morgenland geschrieben standen, und die, in zierlich bestickten Lederbeutelchen am Leib getragen, vor Diebstahl, Überfall, Unfällen auf Reisen, Kopfweh, Fallsucht und Todesgefahr schützten.
    Das letzte Pergament dieser Art verkaufte er gerade an eine rundliche Frau, die mit ihrem grobschlächtigen Sohn vorbeigekommen war.
    »Das ist aber eine schöne, warme Gugel, die Euer Junge da trägt. Darunter bekommt man keine kalten Ohren!«, bemerkte er, als er die kleinen Münzen einstrich.
    »Nicht der Kälte wegen, Meister Esteban, habe ich sie so dick gepolstert, sondern weil er an der Fallsucht leidet. Darum will ich ihm ja auch das Zettelchen um den Hals hängen«, vertraute ihm die Kundin an.
    »Es wurde vom Dompropst selbst geweiht, gute Frau. Es wird ihm gewisslich helfen!«, bekräftige der Reliquienhändler mit ernsthaftem Blick.
    Als sie gegangen waren, räumte er seinen tragbaren Stand zusammen, eine schnelle Arbeit, weil nur noch wenige Artikel übriggeblieben waren. Dafür klimperte der schwere Beutel an seinem Gürtel erfreulich von dem eingenommenen Geld.
    Esteban schulterte das Gestell, drehte guten Mutes der Dombaustelle den Rücken zu und wandte sich Richtung Westen zur Clingelmanns Pütze, wo er ein bescheidenes Häuschen bewohnte.
    Zufrieden trat er durch die Tür und freute sich, dass Fabio schon das Holz im Kamin gerichtet und den Kessel mit frischem Wasser aus dem Brunnen, dem die Straße ihren Namen verdankte, befüllt hatte. Sein Sohn selbst war nicht im Haus, aber um den elfjährigen Jungen machte er sich keine großen Sorgen. Er würde vermutlich bei Freunden sein.
    Mit Feuerstein und Stahl entzündete Esteban das Reisig, und bald loderte ein fröhliches Feuerchen unter dem Kessel. Sorgsam räumte er die übriggebliebenen Devotionalien in die Fächer und Borde an den Wänden und notierte sich auf seinem Wachstäfelchen, welche nachbeschafft werden mussten. Es würde wieder einige Aufträge an die Buchmalerin Christine geben, und das erfüllte ihn mit Vorfreude. Die junge Frau war seine Nachbarin, und er hegte gewisse Hoffnungen, ihre Beziehung könne demnächst etwas enger werden.
    Aus seiner konzentrierten Auflistung wurde er durch Rufe und Schreien aufgeschreckt, und als die Tür aufflog, stolperte Fabio mit kreidebleichem Gesicht in den Raum.
    »Christine! Sie haben Christine gebracht. Sie ist ganz voll Blut!«
    Schluchzend brach er zusammen.

2. Kapitel
    M itte Februar war es noch immer kalt, aber der Schnee war zu Matsch geworden, und von den langen Eiszapfen an den Dachtraufen tropfte, wenn um die Mittagszeit die Sonne herauskam, das Tauwasser. Almut wischte sich einen solchen Tropfen vom Gesicht und machte einen Schritt zur Seite, ohne jedoch den Blick von dem unfertigen Gebäude
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