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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau
Autoren: Andrea Schacht
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vor sich zu nehmen. Noch waren die knapp brusthohen Mauern auf dem Fundament mit Stroh, Lehm und Mist verkleidet, damit der Frost keine Schäden verursachte, aber sie hoffte, schon bald die schützende Hülle entfernen zu können, um die Wände hochzuziehen. Zwischen dem Häuschen der Torwärterinnen und der Apotheke sollte hier eine kleine Kapelle entstehen, in der die Beginen ihre privaten Andachten halten konnten. Im Kopf stellte Almut allerlei Berechnungen an, die die Menge der Steine, den Mörtel und das Holz für die Dachkonstruktion betrafen. Und mit einem Funkeln im Auge überlegte sie dann, ob sie Meister Michael, den Dombaumeister, wohl dazu würde bewegen können, ihr die Steine für zwei kleine spitzbogige Fenster zu überlassen. Seine Steinmetze waren Meister in der Herstellung des Maßwerks, das den Charakter der neuen Kathedrale ausmachte. Es würden sich vielleicht sogar ein paar bunte Glasscheiben finden. Für eine winzige Rosette?
    Almut seufzte. Mit dem Dom ließ sich das Kapellchen natürlich nicht vergleichen, das wäre anmaßend und hochmütig. Aber seit ihrer Kindheit hatte sie, als Baumeisterstochter zwischen Bauholz und Ziegeln, Säulenkapitälen und Gewölben aufgewachsen, den Ehrgeiz, auch einmal ein Gebäude errichten zu dürfen. Einen soliden Stall hatte sie bereits gebaut. Nun galt ihr Ehrgeiz der Kapelle, für die ein reicher Weinhändler das Material gestiftet hatte. Ihr Vater, der Baumeister Conrad Bertholf, lagerte es, und die Meisterin des Konvents hatte Almut erlaubt, eigenhändig die Konstruktion zu übernehmen.
    Während sie also, mitten auf dem Hof stehend, ihre Betrachtungen über die nächsten Arbeiten anstellte, bekam sie so gut wie nichts von dem mit, was sich um sie herum in den Mauern des Beginenhofes abspielte. Sie hörte nicht die elf wissbegierigen Jüngferchen, deren Handarbeitsstunde bei Ursula soeben beendet war, schnatternd und schwatzend an ihr vorbeischlüpfen, sie achtete nicht auf das unablässige Kommen und Gehen verschnupfter und hustender Hilfesuchender, die bei Elsa wegen der Salbeipastillen oder der Kampfersalbe vorbeischauten, sie roch nicht das frische Brot, das Gertrud aus dem Backofen neben der Küche holte, sie sah nicht die drei Weberinnen, die vorsichtig am Waschplatz neben dem Brunnen Stoffbahnen ausspülten, und sie fühlte Teufelchen, die schwarze Konventskatze, nicht, die ihr fordernd um die Beine strich. Erst als Mettel mit einem Korb süß duftender Pasteten durch das Tor trat und zur Küche gehen wollte, hob sie schnüffelnd den Blick.
    »Was bringst du denn da mit?«, fragte sie die Begine, die gewöhnlich das Konventschwein hütete.
    »Eine kleine Gegenleistung von unserer Nachbarin!« Mettel lachte und lupfte das Tuch über dem Gebäck. »Süße Pasteten mit Apfel und Mandel gefüllt. Willst du eine?«
    Almut lief das Wasser im Mund zusammen, doch mit Anstrengung beherrschte sie sich.
    »Nein, nein, bring sie nur Gertrud, sie wird sie sicher zur Vesper unter uns aufteilen.«
    »Ach, es sind eine ganze Menge, du kannst ruhig eine nehmen.«
    »Verführ mich nicht, Mettel!«
    »Nimm eine, Almut, sonst richtet sich dein ganzes Denken diesen Nachmittag nur auf das süße Gebäck!«
    Die Stimme der Meisterin Magda war von einer winterlichen Erkältung noch ein wenig rau, und sie stützte sich beim Gehen auf den Stock, weil das feuchtkalte Wetter ihrem Rheumatismus nicht guttat, aber sie hatte ein unerwartetes Lächeln auf den Lippen, als sie neben Almut trat. Sie griff in den Korb und reichte ihr eine der halbrunden Pasteten.
    »Köstlich!«, nuschelte Almut nach dem ersten Bissen.
    »Von Frau Lena?«, wollte Magda wissen.
    »Ja«, bestätigte Mettel. »Sie wollte sich für die Kräuter bedanken, die Elsa ihr gegen die Halsschmerzen gab und für die Behandlungen der Kratzer und Prellungen, die sich ihr Junge zugezogen hat.«
    Die Beginen leisteten, neben vielen anderen Arbeiten, auch Krankenpflege und hatten eine eigene Apotheke, die Elsa betreute. Sie nahmen kein Geld für ihre Hilfe, denn es waren die Armen und Bedürftigen, die zu ihnen kamen. Doch kaum einer, der ihre Dienste beanspruchte, nahm sie ohne jeden Dank entgegen. Meist brachten die Patienten kleine Gaben, solche, die ihren Möglichkeiten entsprachen - geflochtene Körbe, Reisigbesen, auch mal einen Strang Wolle oder ein Stück gegerbtes Leder, ein Huhn oder getrocknete Pilze - auf die eine oder andere Weise fand alles Verwendung. Ein Korb voll Gebäck von der neuen Nachbarin, das
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