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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel
Autoren: Aurélien Molas
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hinunter, die in den Maschinenraum führte, immer tiefer ins Innere des Schiffes vorstoßend.
    Auf der untersten Ebene blieb der Mann vor einer Stahltür stehen, die dicker war als die anderen.
    »Da wären wir. Seien Sie vorsichtig. Verlassen Sie auf keinen Fall den Mittelgang. Der Container befindet sich ganz hinten.«
    »Ist er erkennbar?«
    »Nein, ich wäre beinahe dran vorbeigelaufen, ohne ihn zu sehen. Er war versiegelt, aber die Nummer stand nicht auf meiner Liste. Ich habe meinen Vorgesetzten angerufen, der mich angewiesen hat, ihn aufzubrechen. Kollegen sind auf diese Weise schon auf Leichen gestoßen. Doch da war nichts Ungewöhnliches – überall nur Kartons. Ich habe den ersten aufgemacht und ... Dutzende von DVDs ohne Verpackungen gefunden. Ich habe geglaubt, dass es Raubkopien von Filmen wären, also habe ich eine mitgenommen zur Zollstelle, um sie zu überprüfen, und ... ich weiß nur ...«
    Broissard erriet, was jetzt im Kopf des jungen Mannes vor sich ging. Die überschäumenden Emotionen setzten ihm schwer zu. Es brachte nichts, sich dagegen aufzulehnen. Manche Bilder ließen sich nicht löschen.
    »Sind Sie sicher ... entschuldigen Sie, ich bin ziemlich durcheinander ...«
    Broissard wusste nicht, was er sagen sollte. Er kannte dieses Gefühl der Verstörtheit nur zu gut. Er widmete sein Leben der Aufklärung jener Verbrechen, die dieses Gefühl hervorriefen.
    »Das, was du gesehen hast, lässt sich nicht verstehen.«
    Er drückte die Klinke und trat über die Schwelle der letzten Tür. Sie schlug hinter ihm zu. Unter seinen Füßen tat sich unvermittelt ein feuchter Abgrund auf, aus dem dumpfe Geräusche aufstiegen. Die jähe Veränderung der Helligkeit brachte Broissard zum Wanken; er hielt sich an dem eiskalten Geländer eines schmalen Ganges fest, der in den Laderaum hineinragte.
    Er tastete sich voran und näherte sich der Treppe, die in der Mitte hing. Zwischen den Stufen gewahrte er den Abgrund unter seinen Füßen, und ihm wurde schwindelig. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe enthüllte eine riesige Halle, die sich im Dunkeln über die gesamte Länge des Rumpfes erstreckte.
    Gewaltige Containerstapel ragten vom Boden des Laderaums auf. Grüne Ampeln markierten eine Vielzahl von Fluchtpunkten und Quergängen. Im Licht der Taschenlampe schien das Gleichgewicht der Linien ins Wanken zu geraten. Broissard bewegte sich langsam auf diesem gigantischen Schachbrett und suchte am Boden die Buchstaben und die Nummern der Reihen.
    Er erreichte die Stelle, wo die Reihen K und 43 aufeinandertrafen, und blieb vor einem bordeauxroten Container stehen.
    »Hier also ...«, flüsterte er und suchte das Stahlgehäuse nach Spuren ab.
    Er kniete sich vor den halb geöffneten Türflügeln nieder.
    Vor ihm befanden sich Hunderte von identischen Kartons.
    Er schrieb in sein Notizbuch: Keine Beschriftung. Keine Stempel. Kastanienbraune Würfel, mit Tesafilm zugeklebt. Polystyrolchips zum Schutz des Inhalts.
    Er streifte sich Latexhandschuhe über und breitete ein quadratisches Stück dehnbarer Folie auf dem Boden aus – sein Operationstisch. Er legte seine Werkzeuge darauf: Skalpell, Umschläge für Rückstände, Fingerabdruckpulver, Klebebandstreifen, ein Fläschchen mit Entwickler, Zerstäuber.
    Alain Broissard stellte das Objektiv seiner digitalen Kamera auf Makromodus ein und griff nach einem Karton, den er vorsichtig auf die improvisierte Arbeitsfläche legte. Er hatte den Eindruck, in ineinandergeschachtelten riesigen Matroschkas gefangen zu sein: Laderaum, Container, Karton.
    »Jeder Fall hat seine eigene Musik ... Jeder Fall hat seine eigene Musik ...«, sagte er sich.
    Das Polizeihandbuch ist das Musiklehrbuch. Der Tatort ist das Instrument. Ein Indiz entspricht einer Note. Übertrage das, was du siehst, in eine Partitur.
    Das war seine ganz persönliche Art, das Grauen zu bewältigen. Es war auch das einzige Mittel, das er gefunden hatte, um seiner Gewaltausbrüche Herr zu werden.
    Das auf den Pinsel aufgetragene Pulver enthüllte keine Fingerfurchen, nichts als glatte Fingerabdrücke, die keinerlei Profil erkennen ließen. Er folgerte daraus, dass es sich um die Abdrücke von Handschuhen handeln musste.
    »Nichts überstürzen ... die Akkorde isolieren ...«
    Er trug eine Schicht feineren Pulvers auf, das sogar an kaum sichtbaren Schweißspuren kleben blieb. Gleiches Ergebnis. So viel Vorsicht ließ nichts Gutes erwarten. Er zwang sich dazu, dem Tempo der Ermittlungen zu folgen, sich
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