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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel
Autoren: Aurélien Molas
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gehalten wurde. Sie hatte richtig gelegen. Das Mädchen tritt in Neverland auf. Mein Fehler, meine Schwäche bestand darin, Amandine helfen zu wollen, ihre Tochter zurückzubekommen. Ich setzte alles in Bewegung, um sie wiederzufinden und aus den Höhlen von Crozant herauszuholen. Aber zu diesem Zweck musste Gérard Maurois, der Auftragskiller von Montoya, aus dem Weg geräumt werden.«
    Kolbe machte eine Pause und ordnete seine Gedanken. Broissard schwieg. Tief im Inneren war er bestürzt über die eiskalte Manipulation, die Maxime ins Werk gesetzt hatte. Die Unmenschlichkeit und Abgefeimtheit dieses Planes standen der Skrupellosigkeit des Erzengels in nichts nach. In diesem Moment wurde ihm klar, dass man nichts von den Menschen erhoffen durfte, dass Moral, Ethik, Gerechtigkeit und Ordnung nur fadenscheinige Werte waren. Allein das Chaos regierte in der Welt. Maxime griff nach einer Flasche, die auf der Kommode stand, und schenkte sich einen Bourbon ein, den er in einem Zug runterkippte. Die Wärme und euphorische Wirkung des Alkohols verflogen in wenigen Sekunden. Ihn berauschte etwas anderes.
    »Im Juni musste der Killer die Leiche eines seiner Opfer entsorgen. Ich ergriff diese Gelegenheit, um die Affäre von Jarnages einzufädeln. Ich redete dem Erzengel ein, sein Handlanger schade der Organisation, und daher müsse man ihn loswerden. Ich wollte verhindern, dass Gérard Maurois Amandine aufspürte. Ich dachte, Sie hätte genügend Zeit, um mit ihrer Tochter ins Ausland zu fliehen, aber Jean-François Rilk war schneller. Er hat seinen Mord als Selbstmord getarnt.
    »Rilk? Von der Mordkommission?«
    »Ja, unter anderen. Die Liste ist lang. Polizisten aus der Provinz, Befehlsempfänger, Ermittlungsrichter ...«
    »Aber wieso hast du die Affäre von Jarnages manipuliert, obwohl es eindeutige Beweise für die Täterschaft dieses Mistkerls gab?«
    »Aus zwei Gründen: Erstens, das Netzwerk in Crozant sollte nicht entdeckt werden. Wir hatten noch nicht genug gerichtsverwertbare Beweise, um den Erzengel zu Fall zu bringen. Zweitens, Montoya hatte erste Zweifel an meiner Aufrichtigkeit. Indem ich die Ermittlungen in ganz offenkundiger Weise manipulierte, konnte ich mir sicher sein, dass mir die Abteilung Interne Ermittlungen auf die Schliche kommen würde. Eine Anklage gegen mich wäre zugleich zwangsläufig der beste Schutz.«
    »Dein Schutz? Und was ist mit den Kindern? Wie konntest du es zulassen, dass sie das durchmachen?«
    »Wenn man den totalen Sieg will, gibt es eben Opfer. Ihre Leiden waren der Preis, der bezahlt werden musste.«
    »Das ist doch der helle Wahnsinn! Du hattest kein Recht dazu!«
    »Glaub mir, all das war nicht umsonst. Wir haben genug Beweise, um Montoya vor Gericht zu stellen. Zu dieser Stunde ist ein mit mir befreundeter Richter dabei, die Berichte durchzuackern und das Verfahren vorzubereiten. Es ist vorbei, und ich ... wir haben gewonnen.«
    Broissard gab durch ein Handzeichen zu verstehen, dass er genug gehört hatte. Müdigkeit und Wut überfielen ihn erneut. Die vielen Enthüllungen bedrückten ihn. Zum ersten Mal sah er Maxime so, wie er wirklich war, die hässliche Fratze eines kaputten Mannes, der durch seinen Kreuzzug verrückt geworden war. Kein Sieg über das Böse rechtfertigte die Verwerflichkeit seiner Taten. Kolbe flüsterte Worte, die er nicht hörte, und schloss leise die Tür hinter den Ermittlungen, den Dämonen und der Vergangenheit.
    Er hatte Kopfschmerzen. Die Migräne, seine alte Freundin, kehrte in alter Frische zurück. Broissard suchte nach einer Musik, die ihn beruhigen konnte. Tränen sprenkelten sein Kopfkissen mit runden Flecken. Er hatte das Gefühl, nur ein Bauer, ein Springer oder ein Läufer in einem Schachspiel gewesen zu sein. Das Gefühl verflog. Eine seltsame geistige Klarheit erfasste ihn.
    Emotionslos stellte er sich vor, was ihn erwartete. Jemand, der für immer auf der Flucht wäre. Horizonte, die unentwegt zurückwichen. Das große Unbekannte, in dem er verschwinden würde. Die Zeit hätte für ihn keine Bedeutung mehr. Weder Sekunden noch Minuten noch Stunden. Zeiger, die stillstehen, und Sonnenfinsternisse. Alles Herausforderungen, die er mit der Gewissheit bestehen konnte, dass das Schlimmste hinter ihm lag.
    Er lächelte über die irrationale Hoffnung, dass noch alles möglich wäre, und eine leise innere Stimme machte sich zum Echo der erlösenden Nacht.

85
Küste bei Biarritz,
Sondereinheit
    Der Strand an der südwestfranzösischen
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