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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Horizont, dass die Gegend wie in Bronze gegossen schien. Jedes Detail trat im Gegenlicht hervor: die strengen Raster der Bäume vor den ockerbraunen Feldern, hier und da ein scharfer violetter Spritzer, ein Teich oder ein Bachbett, verborgen hinter der Wölbung des Flachlands.
    An solchen Tagen saß er zusammengekrümmt, reglos weit hinten im Wagen; vor ihm Kuper, dessen Rücken denselben Bogen beschrieb wie die Pferdepeitsche auf seinem Schoß.
    Jenseits der Absperrung stand einer der deutschen Wachtposten in feldgrauer Uniform stocksteif da oder ging rastlos vor seinem Schilderhäuschen auf und ab. An manchen Tagen blies ein kräftiger Wind über die offenen Felder und Wiesen. Der Wind riss Sand und lockeren Ackerboden mit sich, wehte auch Papierfetzen über Zaun und Mauern herein; und der wirbelnden Erde folgte stechender Sulfitgeruch von den Fabriken im Inneren von Litzmannstadt, wie auch das Gegacker des Federviehs und das Brüllen der Rinder von den polnischen Bauernhöfen im Umkreis. Dann ließ sich deutlich erkennen, wie willkürlich die Absperrung verlief. Der Wachtposten stand machtlos, stemmte sich gegen den hartnäckigen Wind, sinnlos klatschte ihm der Uniformmantel um Arme und Beine.
    Der Älteste aber saß weiter still und unbeweglich auf seinem Platz, während Sand und Erde um ihn stiebten. Ob ihn all das, was er sah und hörte, kümmerte, zeigte er nicht.
     
    |18| Józef Feldman hieß ein Mann, der als Totengräber zu Baruch Praszkiers Friedhofskolonne gehörte. Sieben Tage die Woche, auch am Sabbat, da die Behörden es so befahlen, grub er Gräber für die Toten. Die Gräber, die er grub, waren nicht groß: sieben Dezimeter in die Tiefe und einen halben Meter breit. Tief genug, um einem Körper Platz zu bieten. Bedenkt man indes, dass es im Jahr zwei-, vielleicht dreitausend Gräber betraf, wird klar, um welch harte Arbeit es ging. Meist peitschten Wind und Sand den Männern ins Gesicht.
    Im Winter ließ es sich nicht graben. Die Gräber für den Winter mussten im Sommerhalbjahr ausgehoben werden, und Feldman und die anderen der Friedhofskolonne arbeiteten in diesen Monaten am intensivsten. Im Winterhalbjahr zog er sich in sein »Büro« zurück und ruhte.
    Vor dem Krieg hatte Józef Feldman eine kleine Gärtnerei in Marysin besessen. In zwei Gewächshäusern hatte er Tomaten- und Gurkenpflanzen gezogen, auch Gemüse: Chinakohl und Spinat; Zwiebeln hatte er gleichfalls verkauft und Samentütchen für die Frühjahrssaat. Nun standen die Gewächshäuser mit eingeschlagenen Scheiben leer und verlassen da. Józef Feldman selbst überwinterte in einem einfachen Blockhaus, gleich im Anschluss an eins der Gewächshäuser, das früher sein Büro gewesen war. Zuhinterst an der Wand stand eine niedrige Holzpritsche. Hier gab es auch einen Holzfeuerherd mit dem Abzug direkt durchs Fenster und eine kleine Kochplatte, die mit Propangas betrieben wurde.
    Offiziell waren alle Grundstücke und alle alten Marysiner Gartenparzellen im Besitz des Judenältesten des Gettos, der sie ganz nach Belieben verpachtete. Das galt auch für ehemals gemeinsamen Landbesitz wie die
Hachscharot
der Zionisten, einundzwanzig umzäunte Parzellen mit langen Reihen sorgfältig beschnittener Obstbäume, wo die Pioniere des Gettos früher Tag und Nacht gearbeitet hatten; wie Borochovs Kibbuz, den verfallenen Hof des Haschomer-Kollektivs auf der PrÓżna, wo man Gemüse gezüchtet hatte, und die Jugendkooperative Chazit Dor Bnej Midbar. Galt im selben Maße für die großen offenen Flächen hinter den alten verfallenen Geräteschuppen, die unter dem Namen Praszkiers Werkstatt liefen, auf denen die wenigen, dem Getto verbliebenen Milchkühe weideten. All das gehörte dem Judenältesten.
    |19| Doch aus irgendeinem Grund hatte Feldman das seine behalten dürfen. Den Ältesten und ihn sah man oft zusammen in Feldmans Büro sitzen. Den Großen und den Kleinen. (Józef Feldman war klein von Wuchs. Es hieß, er reiche kaum über den Rand der Gräber, die er aushob.) Bei diesen Gelegenheiten erzählte ihm der Älteste von seinen Plänen, das Gelände um Feldmans Gärtnerei in ein einziges gigantisches Rübenfeld zu verwandeln und an der Böschung zur Straße Obstbäume zu pflanzen.
    Oft hörte man vom Judenältesten sagen, im Grunde zöge er die Gesellschaft einfacher normaler Leute der von Rabbinern und Getto-Ratsmitgliedern vor. Fühle sich mehr zu Hause unter den Chassidim im Lehrhaus an der Lutomierska oder unter den ungeschulten, indes
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