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Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Titel: Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
Autoren: Helmut Pöll
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nicht einmal in Mathe. Das kommt daher, weil ich mit meinem Kopf immer woanders bin und dann nichts weiß, wenn ich aufgerufen werde und eine schlechte Note bekomme. Ich kann mir auch nur wichtige Sachen merken. Zum Beispiel die Namen und Abmessungen von imperialen Schlachtkreuzern, aber eben keine Englischvokabeln.
    Nach einer Woche Spionieren war es genug. Ich finde, ein Held muss auch handeln. Er kann nicht warten, bis ihm alles um die Ohren fliegt, bis er im Schutt liegt und dann sagen kann:
    „Hey, ich hatte recht, Serrano war wirklich ein Schuft.“
    Deshalb habe ich die Polizei angerufen. Aber ich bin ein Kind. Und Kindern glaubt man nichts. Miss Marple hätte mir geglaubt. Ich war plötzlich in einer Filmsituation. Ich sah das Verbrechen kommen und konnte nichts tun, während Serrano bald seine Bombe zum Hauptbahnhof schleppte und dann eine ganze Schulklasse auslöschte. Und dann gab es noch irgendwo einen Jungen, der nicht mehr mit seinem kleinen Bruder in den Zirkus zu den Elefanten gehen konnte.
    Ich habe ein Taschentuch über die Muschel gelegt und meine Stimme verstellt, ganz tief eben, damit man nicht gleich merkt, dass ein Kind spricht. Ich habe gesagt, dass eine Bombe für den Hauptbahnhof gebaut wird. Von Serrano in der W** Straße im achten Stock. Vielleicht doch auch Matisse. Aber sie sollten sich beeilen, weil er schon eine Woche an seinem Kunstdünger-Sprengsatz herumschraubt.
    „Wer ist denn da?“, fragte einer Stimme. Ich hab’s gewusst. Sie glauben einem Kind nicht. Deshalb habe ich sofort aufgelegt.
    Ich habe mich aufgeregt. Die Ungewissheit ließ mich schreien, ich habe mir die Hände und die Unterarme wund gekratzt und bin vor Aufregung auf der Stelle gesprungen wie eine Wildkatze. Gleich geht alles hoch und keiner verhindert es. BUMMBUMMBUMM . Aber nach einer halben Stunde rasten drei Transporter um die Ecke, ohne Blaulicht, ohne alles. Sie sahen aus wie Möbelwagen, nur dass die Möbelpacker Wollmasken trugen und keinen Bierbauch hatten. Sie machten die Haustüre auf, einfach so. Aber was hatte ich erwartet? Dass sie solange klingeln wie der UPS Fahrer, bis jemand freundlicherweise den Summer drückt? Schlimmstenfalls bei Serrano, der dann gesagt hätte:
    „Nö, ich lasse Euch nicht rein. Ich muss meine Bombe fertig bauen.“
    Ich weiß nicht, wie es ausging, denn dann bin ich gegangen, weil ich aufs Klo musste. Außerdem hatte ich Hunger und um 19 Uhr lief der Wachsblumenstrauß im Fernsehen. Ich mag schwarzweiß Filme, weil ich mir dann vorstellen kann, wie alles bunt aussieht. Ich mag auch das Rauschen, das manchmal wie Regen ist. Bunte Filme regen mich oft auf. Vor allem wenn sie schnell geschnitten sind. Dann werde ich zappelig, muss von meinem Stuhl aufspringen und renne wie irre in meinem Zimmer herum, bis meine Mutter hereinschießt und den Fernseher abstellt.
    Den Wachsblumenstrauß konnte ich nicht mal zu Ende sehen, weil in einer Szene meine Mutter ins Zimmer kam und „kommst du mal“ rief. Sie hatte den genervten Unterton in ihrer Stimme eingeschaltet. Ich stelle mir manchmal vor, dass meine Mutter hinten am Hals, wenn man ihre Nackenhaare hochhebt, ein Batteriefach hat und einen kleinen versenkten Schalter daneben, den man mit einer Kugelschreiberspitze auf „genervt“ schieben kann.
    Ich rief „ich komme gleich“.
    „Sofort“, bellte sie. „Sofort! Hörst du?“
    Wuff. Wuffwuffwuff. Wie Adrian, der Hund von Frau Buselik aus Stock drei, der schlafend mit den Pfoten zuckt und wuffelt, wenn er im Traum erschrickt. Na gut, dann verpasse ich eben wieder alles.
    Sie hatten sich im Wohnzimmer aufgebaut, alle drei. Meine Mutter hatte die Arme verschränkt. Außerdem rauchte sie. Mein System ging sofort auf Alarmstufe Rot. Meine Mutter regt sich nämlich immer wahnsinnig auf, wenn jemand in unserer Wohnung raucht, weil sich der Zigarettenrauch in den Gardinen festsetzt und dann alles tausend Jahre nach Rauch stinkt. Deshalb scheucht meine Mutter immer alle Raucher auf den Balkon. Wenn meine Mutter nicht an ihre Gardinen denkt und in der Wohnung raucht, gibt es immer Ärger. Denn dann hatte ich meistens etwas ausgefressen und wurde zur Rede gestellt. Aber diesmal hatte ich nichts Schlimmes getan. Dachte ich jedenfalls.
    Die anderen beiden Männer waren Bullen. Das sieht jemand, der so viel fernsieht wie ich, sofort. Sie waren ganz wach und schauten ständig so im Wohnzimmer herum, ob sie irgendwo ein gestohlenes Bild an der Wand finden. Aber meine Eltern stehlen keine
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