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Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Titel: Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
Autoren: Helmut Pöll
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zehn Punkte voll sind, gehen wir Eis essen oder ins Kino. Das darf ich mir aussuchen. Ich kann aber die Punkte auch ansammeln. Das habe ich ausgehandelt. Ich kann die Punkte ansammeln und mir dann neue Rollschuhe wünschen, wenn ich viele OK Punkte sammle. Wenn ich hundert Punkte ansammle, bekomme ich fünf Bonuspunkte extra. Das habe ich auch ausgehandelt. Nach dem Einfall des Todessterns in die Elterngalaxie wurde mein Punktestand gelöscht. Ich hatte 80 Punkte und hätte doch immer das Eis nehmen sollen. Das nennt man Paradigmenwechsel, sagte mein Deutschlehrer.
    Ein Paradigmenwechsel ist, wenn man etwas gut findet, bis man merkt, dass es doch totale Scheiße ist. Aber Scheiße sagt man nicht.
    Ich schrie stundenlang meinen Rainman-Schrei, um gegen die Gemeinheit zu protestieren, aber mein Blickwinkel änderte sich nicht. Und der meiner Eltern auch nicht, weil sie Ohrstöpsel trugen. Sie ließen sich nicht erweichen. Ich meine, wie gemein ist das denn? Ich bin ein Kind mit ADS und soll alle Punkte verlieren? Da kann ich ja nicht gesund werden, obwohl ich damit nicht sagen wollte, dass ich krank bin. Ich wollte sagen, meine Eltern halten mich für krank und wenn sie das tun, dann dürfen sie mich nicht so behandeln. Andere Eltern wären froh, wenn sich ihr Kind mit sich selber beschäftigen könnte und alleine spielt. Ich fing wieder bei Null an.
    Das war an Ostern. Das weiß ich noch so genau, weil an Ostern der Heilige Vater im Fernsehen den Segen spendet und ich ganz neidisch geworden bin, weil er das in 50 Sprachen gemacht hat und ich nicht mal richtig Englisch konnte.
    Da war ich zu Besuch bei Mona. Sie ist schon 13, aber sie ist gar nicht zwei Jahre älter, sondern nur eins und ein bisschen. Ich werde ja selber bald zwölf und dann sieht man wieder, dass wir nur ein Jahr auseinander sind und nicht zwei. Mona wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder ganz in der Nähe bei uns. Sie darf viel mehr als ich. Aber das kommt daher, weil sich die ganze Familie immer so viele Sorgen um ihren Bruder Carl macht. „Carl ist total abgestürzt“, sagt Mona immer. Und damit meint sie, dass er immer so komische Sachen nimmt, die ihm nicht gut tun und wegen denen dann manchmal die Polizei kommt.
    Mona hat mir das im Vertrauen erzählt und ich musste Stein und Bein schwören, dass ich das nicht weitererzähle. Denn wenn es rauskäme, sei bei ihnen wieder der Teufel los. Mona ist meine beste Freundin. Nicht, dass ich etwas von ihr will, so wie die größeren Jungen sich für Mädchen interessieren. Aber ich bin gerne bei ihr. Und wir können uns alles erzählen.
    Aber manchmal passieren auch total lustige Sachen mit Carl. Er hat mit 16 manchmal Augenringe wie Charles Laughton in „Meuterei auf der Bounty“, wo er ins Boot hinuntersteigt und den Meuterern Rache schwört. Das habe ich Mona erzählt und sie stimmte sofort zu. Wir kamen darauf, dass in unserer Phantasie Carl der ideale Racheengel wäre. Wir haben uns vorgestellt, wie er mit seinen blutunterlaufenen Augen und dem weißen Körper und seinem Kanonenkugelarsch nackt mit einer goldenen Lanze herumrennt und damit die Bösen ersticht, so wie die Ritter im Märchen.
    Das mit Carls Augenringen ist aber meistens gar nicht so schlimm. Das wird nur schlimm, wenn Mona s und Carls Mutter vergisst, rechtzeitig die japanische Augencreme zu kaufen. Shiseido. Die macht die Ringe weg. Mona sagt, ihre Mutter schiebt es immer so lange hinaus, wie es geht, weil die Creme schweineteuer und sie am Monatsende immer knapp bei Kasse ist. Sie wundert sich immer, dass die Tube so schnell leer ist, dabei ist es ja Carl, der das meiste von dem Zeug verbraucht. Aber irgendwie kommt sie nicht darauf. Sie hat Mona strengstens untersagt, ihre sündteure Creme zu verwenden, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass es ihr Sohn ist, der sie benutzt.

2
    Aber ich bin ein wenig abgeschweift. Die Geschichte war ja die, dass ich auf dem Sofa aufgewacht bin, nachdem die beiden Marshals weg waren. Solange ich flach auf dem Sofa liege, gibt es für mich eine Art Generalamnestie. Das heißt, mir passiert nichts, egal was ich gemacht habe. Sobald ich aber meinen Kopf neugierig vom Kissen hebe oder sogar aufstehe, galoppiert meine Mutter daher.
    Allzu lange liegen bleiben kann ich aber nicht, weil liegen Bleiben mich irre macht. Außer ich bin im Koma. Wenn ich aber wach bin muss ich sofort aufstehen und herumrennen, sonst drehe ich durch. Und dann kommt die Abrechnung. Natürlich nur, wenn ich was
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