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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie
Autoren: Jay Bonansinga
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– eine Mischung aus dem tiefen Schwarz seiner afrikanischen Mutter und der karamellfarbenen Haut seines jamaikanischen Vaters.
    Diese Selbstverachtung kompensierte Grove in gewisser Weise durch sehr formelle Kleidung. Er kleidete sich niemals leger, trug weder Jeans noch Shorts oder Turnschuhe, es sei denn, es war absolut notwendig. Selbst in seiner Freizeit zog er langärmelige Oberhemden und Hosen mit Bügelfalten an. Seine Kollegen in Quantico amüsierten sich darüber und witzelten, er sähe aus wie einer der Jungs von Louis Farrakhans Nation Of Islam. Das ärgerte Grove maßlos. Er verabscheute militante Schwarze genauso wie Rap-Musik und Gangster-Chic. Er fand, dass diese Leute für die Gewalttätigkeiten von Schwarz gegen Schwarz verantwortlich waren, und wenn es etwas gab, womit sich Grove auskannte, war es Gewalt.
    Die Maschine landete überpünktlich auf dem Denver International Airport. Grove ging in aller Eile von Bord.
    Anders als sonst üblich erwartete ihn heute kein Verbindungsmann der Polizei, der ihn an den Tatort begleitete. Außer den zuständigen Detectives, die am Tatort oben in Estes die Spuren sicherten, wusste niemand von Groves Kommen. Die Uhr lief unerbittlich ab: Seit der vermuteten Tatzeit waren schon acht bis zehn Stunden vergangen, und die Beweissituation verschlechterte sich mit jeder Minute.
    Grove ging rasch durch die Glastüren zum Taxistand hinaus, den Aktenkoffer in der einen, die Reisetasche in der anderen Hand. Der Sturm hatte gegen Morgen nachgelassen, und die Luft an diesem späten Frühlingstag roch nach frischem Regen. Am stahlblauen Himmel über dem schneebedeckten Gipfel des Berthoud-Passes hingen nur noch dünne Schleierwolken. Doch Grove hatte kein Auge für die herrliche Landschaft. Mit einer hektischen Geste winkte er eines der Rocky-Mountains-Flughafentaxis herbei.
    Während der zweistündigen Fahrt nach Norden arbeitete Grove seine Aufzeichnungen durch und gab dem Fahrer, der gern ein Schwätzchen gehalten hätte, nur sehr einsilbige Antworten. Sie erreichten den Tatort gegen zehn Uhr. Die Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch die dichten Wipfel der Engelmann-Fichten, die das Naturschutzgebiet wie altertümliche Wachtürme begrenzten. Eine Flotte von Streifenwagen und Zivilfahrzeugen des FBI hatte am Ende des Weges geparkt. Männer in Sportsakkos und Uniformierte der örtlichen Polizei standen in kleinen Gruppen herum. Die Absperrbänder flatterten im Wind.
    In dem Augenblick, als Grove aus dem Taxi stieg, ergriff ihn ein Schwindelgefühl. Zuerst dachte er, es läge an der Höhe. Oder an seinen angespannten Nerven oder an seinem leeren Magen. Oder an einer Kombination aus allen drei Faktoren. An dem Absperrband wurde er von einem Mann mit rotblonden Haaren begrüßt, um dessen Hals eine Erkennungsmarke der State Police von Colorado baumelte.
    Grove stellte sich vor.
    «Sie sind verdammt schnell», bemerkte der Mann, sah auf seine Armbanduhr und reichte dann Grove die Hand. «Lieutenant Jack Slater, CSP-Morddezernat. Gut, dass Sie so rasch hier sein konnten.»
    Grove fühlte sich schwindlig, als Slater ihn den anderen Detectives vorstellte. Der Empfang fiel unterkühlt aus. Grove hätte sich normalerweise nicht daran gestört; die örtlichen Behörden misstrauten den Regierungsexperten und hoch bezahlten Beratern grundsätzlich. Doch an diesem Morgen verkrampfte sich ihm angesichts der misstrauischen Blicke der Magen, und alles begann sich vor seinen Augen zu drehen.
    Sie führten ihn einen Pfad hinunter, der sich durch einen Hain von Balsamfichten schlängelte. Das Sonnenlicht flackerte zwischen den Ästen hindurch und blendete Grove. Der Boden unter seinen Füßen war vom Regen aufgeweicht und die Luft im Schatten des Waldes klar, aber merklich kühler. Mücken summten vor Groves Nase herum.
    «Ein State Trooper war als Erster am Tatort», dröhnte Slaters Stimme, während sie tiefer ins Gehölz vordrangen. «Er überprüfte einen verlassenen Müllwagen, den er mit laufendem Motor auf einer der Zugangsstraßen vorgefunden hatte.»
    Ungefähr hundert Meter vor ihnen tauchte hinter den Bäumen eine Gruppe von Männern auf. Am Rande des Pfads hockten zwei Kriminaltechniker in der Nähe einer umgestürzten eisernen Mülltonne und sicherten Fingerabdrücke. Grove versuchte die aufkeimende Angst herunterzuschlucken, als ihn erneut Schwindel überfiel. Das Atmen machte ihm Mühe, und er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dergleichen war ihm noch nie
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