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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin
Autoren: Katharina Münk
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herum hegte – auch wenn sie in dieser Menge gar nicht auffiel, zu keiner anderen Nation gepasst hätte und |18| insofern eben doch deren absolut perfekte Repräsentantin war. Es war besser, und damit beruhigte sie sich letztendlich, wenn man nicht allzu viel darüber nachdachte.
    Der Ellenbogen traf ihren Hüftknochen mit vollem Schwung, und sie hätte zurückgeboxt, wenn nicht ihr vibrierendes Mobiltelefon sie gerade in diesem Augenblick abgelenkt hätte. Es war die erste SMS von Herrn Bodega:
»Wo sind Sie, Chefin?«
    »Ich bin hier, Heinz, watte mal, ich tu den Koffer da erst wech.« Die Frau mit den spitzen Knochen hinter ihr wuchtete in einem Anfall von Freizeitanarchismus ein großes Gepäckstück beiseite, damit ihr Mann schneller Richtung Schalter drängeln konnte.
    Das geht so nicht! Sie hätte es fast laut gesagt, biss sich aber auf die Lippen. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht, denn hier gönnte jeder nur einer einzigen Person Aufmerksamkeit: sich selbst. Insofern ging es doch sehr politisch zu, fand sie. Offenbar war man nicht in den Urlaub gefahren, um andere Menschen und andere Orte zu sehen, sondern vielmehr um sich selbst unter anderen Menschen an anderen Orten zu sehen. Herrje, wer rettete dieses Volk? Nein, sie hatte es längst aufgegeben, und jetzt wusste sie auch, warum. Sie ging einen Schritt zurück, zog die Schultern hoch und tippte:
»Lieber Herr Bodega, wir haben uns auf den Weg gemacht. Also, ich glaube, wir schauen nach vorne. Und so wollen wir weitermachen. Gruß, die Ihrige.«
    »Du musst aufschließen, sonst gehen wieder welche dazwischen!«
    Sie schaute ihren Mann über die Schulter hinweg etwas länger an als sonst. War er jetzt einer von denen? Im Zug nach Wladiwostok würde das alles anders sein. Abteil. Kategorie Bolschoi-Platinum. Sie waren fast am Eincheck-Schalter angekommen, nur noch eine Person stand vor |19| ihnen. Ihr Mann riss ihr den Pass aus der Hand, und sie entrüstete sich: »Ich bitte dich, ich dachte, ich würde ohne Organisationsstab reisen können. Man wird doch wohl noch alleine einchecken können.«
    Er behielt die Pässe und Tickets zwischen seinen Fingern, dass die Kuppen weiß wurden: »Alle Männer machen das hier so. Wir wollen doch nicht auffallen.«
    »Das sehe ich anders. Ich kenne mich aus mit ›allen Männern‹. Und schließlich steht mein Amt doch nicht als Berufsbezeichnung in meinem Pass, oder?«
    »Pst, nicht so laut! Du hoffst doch nur, dass dich endlich einer erkennt.«
    »Das ist gemein.« Sie hatte keine Lust mehr auf derartige Spielchen und gab vorerst nach, äußerlich zumindest, trat einen Schritt zurück. Sollte er nur machen. Sie konnte im passenden Moment jederzeit von hinten eingreifen. Sie wurde ruhig. Aber die gefühlte Temperatur um sie herum sank um mindestens zwanzig Grad.
    Der Mitarbeiter des spanischen Bodenpersonals zog ihre Dokumente von der Theke zu sich herüber, ohne aufzuschauen. »Window or aisle?«
    »One window, one aisle seat, please.«
    Sie boxte ihm in die Rippen. »Ich will Gang. Ich kenne bereits die Kartografie aller Länder dieser Welt.«
    »Du musst aus dem Fenster gucken, ob du willst oder nicht. Alle Frauen wollen das. Irgendjemand könnte deine Gesichtszüge erkennen.«
    »Das ist doch albern.« »Here you are, have a nice journey, move on please.«
    Sie gingen weiter.
    »Ich fasse es nicht.«
    »Was ist denn?« Ihr Mann bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Touristenströme.
    |20| »Der hat mich nicht erkannt. Der kennt meinen Namen nicht. Der ist noch nicht einmal ins Grübeln gekommen, nicht einmal für einen kleinen Moment!«
    »Na, Gott sei Dank. Wo um Himmels willen liegt das Problem?«
    »Adenauer wäre das nicht so ergangen.«
    »Huch, der gleich. Ja, also Adenauer fuhr wohl eher zum Boulespielen mit dem Auto über die Alpen oder so. Vergiss das Weitergehen nicht.« Er legte seine Hand auf ihren Rücken und schob sie ein wenig nach vorn.
    Sie blieb wieder stehen. »Ich fasse es nicht. Niemand erkennt mich.« Jetzt brach es aus ihr heraus, und sie staunte im selben Moment über sich selbst: Das war es also, was ihr die ganze Zeit zu schaffen gemacht hatte: das Nicht-Erkannt-Werden, es war Segen und Fluch zugleich. Denn sie fühlte sich so gänzlich anders, als ihre Umgebung sie wahrnahm, bewegte sich in einer seltsamen Zwischenwelt, kam sich beobachtet vor, obwohl niemand sie ansah. Und das war schon ein wenig enttäuschend, fand sie.
    »Was willst du denn von einem
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