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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung
Autoren: Jonathan Stroud
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die Mütze entgegen. Emily machte einen Schritt vorwärts und nahm sie ihm weg, riss sie ihm fast aus der Hand. Sie setzte die Mütze nicht auf, sondern ließ ihre Arme wieder zur Seite sinken und zwang sich, dem Jungen direkt ins Gesicht zu schauen.
    Wie seine Brüder war er kräftig gebaut, fast so groß wie ein Mann, obwohl er nur eine Schulklasse über Emily war. Aber anders als seine Brüder war er noch kein richtiges Schwergewicht – er war ziemlich mager und seine Arme und Beine wirkten noch etwas schlaksig, einfach zu lang für ihn. Er hatte rotblonde, stoppelkurze Haare, ein rötliches, sommersprossiges Gesicht und blaue Augen. In diesem Augenblick stand sein Mund einen Spalt offen, weil er etwas sagen wollte, ohne so recht zu wissen, was. Emily wartete und schaute ihn an.
    Schließlich öffnete er den Mund ganz. »Die hab ich gefunden«, sagte er. »Das... das ist doch deine Mütze?«
    »Das ist meine Mütze«, sagte Emily. »Deshalb hab ich sie auch genommen. Ich stehle keine Sachen.« Sie machte eine Pause. »Nicht so wie andere Leute.«
    Der Junge lief rot an und ballte seine Fäuste. »Was meinst du damit?«
    Emily grinste. »Euren großen Bruder hab ich vorhin gar nicht gesehen. Feiert fröhlich Weihnachten, was?«
    »Blöde Zicke – nimm das zurück!«
    »Verpiss dich.«
    Simon Allen machte eine Bewegung nach vorne. Emily grinste ihn weiter spöttisch an, obwohl ihr Herz vor Angst wild pochte. »Mach nur. Ein Mädchen verdreschen. Gleich zweimal am Tag. Ziemlich guter Schnitt.«
    Der Junge stoppte, sein Mund verzog sich wütend. »Hör mal, du blöde Scheißkuh«, sagte er, »ich bin extra gekommen, mit deiner Mütze und weil ich’tschuldigung sagen...«
    »Und warum hast du das dann nicht?«
    »Was?«
    »’tschuldigung gesagt, du Blödmann.«
    »Ich... ich...« Der Junge war so überrumpelt, dass er nur noch stotterte. Er schien vor lauter Verwirrung und Wut ganz durcheinander zu sein. Da fragte Marcus: »Was hat er denn gemacht?«
    »Schneebälle geworfen. Hat richtig weh getan.«
    Simon Allen schaute hoch. »Hab ich nicht gemacht. Das waren die andern.«
    »Klar, sind immer nur die andern.«
    »Verdammt noch mal, ich war’s nicht! Ich hab vielleicht einen geworfen, aber der ging daneben. Carl hatte die meisten Treffer.«
    »Dann kannst du nur nicht gut zielen. Das ist der einzige Unterschied.«
    »Jetzt hört mal beide zu«, sagte Marcus, gerade als Simon vor Wut fast explodierte. »Ich hab einen Vorschlag. Er bittet dich um Entschuldigung und du nimmst seine Entschuldigung an – und dann hört ihr einfach damit auf. Wie wär das? Und danach beginnen wir einen fairen Kampf. Wie wir es gerade vorhatten, nur mit zwei Angreifern – der Verteidiger hat es sowieso viel leichter. Zwei Angreifer würden das wettmachen. Er könnte zum Beispiel der Verteidiger sein und du und ich, wir sind die Angreifer. Was haltet ihr davon? Das wäre doch fairer. Und ganz nebenbei kriegt ihr beide eine Gelegenheit, dem andern das Hirn rauszuprügeln.«
    Emily und Simon starrten Marcus stumm an. Emily war so verdutzt über den Vorschlag, dass sie ganz vergaß, was sie eben noch sagen wollte, und obwohl irgendwas gemeinsam mit Simon Allen zu unternehmen, ganz bestimmt die Sache auf der Welt war, zu der sie am wenigsten Lust hatte, kamen ihr alle Einwände kindisch und dumm vor, sobald sie zu sprechen ansetzte. Man konnte klar sehen, dass es Simon genauso ging. Er hustete und schaute dann wieder auf den Schnee vor Emilys Füßen.
    »’tschuldigung«, nuschelte er, »wegen der Schneebälle.«
    »... okay, angenommen.« Emily brachte es kaum über die Lippen.
    Marcus grinste breit. »Super! Dann mal gleich los. Du kletterst den Hang hoch, Kumpel, und du...« Er hörte mitten im Satz auf. »Was ist das denn für’ne Truppe? Noch mehr Freiwillige?«
    Emily folgte seinem Blick. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Fünf Gestalten, fünf grinsende Gesichter kamen durch den Burggraben näher. Katie Fern, Deirdre Pollard, die drei restlichen Allen-Brüder.
    »Das geht hier ja zu wie auf’ner Autobahn«, sagte Marcus.
    Der größte Bruder ergriff das Wort. »Habn dich verlorn, Si«, sagte er. »Habn uns schon Sorgen gemacht. Wusstn nich, wo du warst.«
    »Jetzt habt ihr mich gefunden«, sagte Simon mürrisch. »Seid ihr nun zufrieden?«
    »Hast dich heimlich fortgeschlichn. Sind wohl neue Freunde von dir?«
    »Hör auf, Carl.« Simons Stimme klang resigniert und trotzig zugleich.
    »Vielleicht sind wir dir nich gut
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