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Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Titel: Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
Autoren: Jessica Khoury
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nicht, ich kenne dein Geheimnis.« Er umfasst mein Kinn und drückt fest zu, bis mir die Tränen kommen. »Da sind sie ja! Hunderte, Tausende, wenn ich es will. Ich brauche nichts weiter als dich und deine Tränen. Du hättest alles haben können, Pia – Gesundheit, Reichtum, Glück, Macht bis in alle Ewigkeit. Was immer du dir erträumt hättest, du hättest es haben können. Stattdessen hast du dir Kummer bis in alle Ewigkeit eingehandelt. Du wirst weinen, Pia, oh ja. Du wirst weinen. Das ist von jetzt an deine Aufgabe. Dein Sinn und Zweck. Wie gefällt dir das? Ich habe dir Sinn und Zweck gegeben und du hast mir alles vor die Füße geworfen. Wortwörtlich. Und was tue ich? Der freundliche, großzügige Onkel Paolo, der ich bin? Ich gebe dir erneut Sinn und Zweck. Ein Leben, das dem Weinen gewidmet ist, dem Weinen von Blumen, Pia. Klingt das nicht poetisch? Es müsste dir eigentlich gefallen, der Pia mit ihrer neuen, emotionalen Moral. Eine Schande, wenn du mich fragst. Bei der nächsten passen wir besser auf. Vielleicht nennen wir sie auch Pia. Vielleicht auch Antonia. Wer weiß? Die Welt ist voller Möglichkeiten. Ich kann es gar nicht erwarten!«
    Wir kommen zum Fluss, wo die restlichen Einwohner von Little Cam – einschließlich mein Vater – warten. Er schaut mich traurig an, aber ich bin nur froh, dass sie ihm nichts getan haben, weil er uns zur Flucht verholfen hat.
    »Wir gehen nicht zurück nach Little Cam?«, frage ich.
    »Was? Um uns von diesen Monstern auffressen zu lassen, die Will erschaffen hat? Wohl eher nicht, meine Liebe. Nein, wir brechen auf zu neuen Ufern. Vielleicht Afrika. Ich habe gehört, dass man dort an manchen Orten mehr Himmel als Land sieht. Wäre das nicht eine nette Abwechslung?«
    Alle steigen in die Boote und tuckern flussabwärts. Eio hatte recht. Überall sind Boote so versteckt, dass sie von Flugzeugen und Helikoptern aus nicht zu sehen sind. Little Cam. Ein einziges, großes Geheimnis.
    Onkel Timothy müht sich mit dem Motor eines Bootes ab und überschüttet jeden mit Flüchen, der in seine Nähe kommt, weil das Ding nicht startet.
    »Ihr habt Eio nicht, oder?«, frage ich.
    Paolo lacht. »Natürlich nicht.«
    Eio ist in Sicherheit. Ich kann aufatmen. Daran kann ich mich festhalten. Das gibt mir Hoffnung.
    Aber nicht viel.
    Alles, was Paolo sagt, stimmt. Little Cam ist am Ende, das schon, aber die Forschungsziele leben in ihren Köpfen weiter und meine Tränen geben ihnen eine Zukunft. Das Immortis-Projekt ist nicht am Ende. Im Gegenteil, es beginnt erst so richtig. Was bedeutet, dass viele weitere Menschen sterben werden. Wahrscheinlich keine Ai’oaner. Aber andere.
    Ich wurde geschaffen, um Leben in die Welt zu bringen. Leben im Überfluss, überschäumendes Leben, Leben, das die wildesten Träume der Menschheit übersteigt.
    Doch alles, was ich bis jetzt vollbracht habe, ist der Tod.
    »Eins fehlt«, höre ich zufällig jemanden sagen. Ein Boot fehlt. Tante Harriet. Sie muss es genommen haben. Sonst fehlt niemand. Auch sie ist in Sicherheit und ich bin froh darüber. Ich hoffe, dass wer immer ihr von Evie erzählt, es behutsam macht, und sie eines Tages lernt, sich selbst zu vergeben. Sie hat alles Menschenmögliche für ihre Schwester getan, aber ich weiß vielleicht besser als jeder andere, dass die Schuld immer einen Weg in dein Herz finden wird.
    Das vorletzte Boot legt ab. An Bord sind meine Eltern. Meine Mutter würdigt mich keines Blickes. Mein Vater winkt und ruft mir zu, dass wir uns weiter flussabwärts sehen – was ihm einen bösen Blick von meiner Mutter einbringt.
    Nur Timothy, Haruto, Jakob, Paolo und ich sind noch übrig. Timothy startet den Motor und einer nach dem anderen geht an Bord. Mir kommen die Tränen. Das passiert ziemlich oft in letzter Zeit. Aber sie fließen nicht über meine Wangen. Vielleicht trockne ich aus. Ich habe noch immer nicht richtig um Onkel Antonio geweint. Vielleicht ist mir noch nicht ganz bewusst, dass er tot ist. Aber wenn ich weine, will ich es nicht vor Onkel Paolo tun. Diese Genugtuung will ich ihm nicht geben. Noch nicht.
    Die letzten Sonnenstrahlen fallen auf den Fluss und setzen seine kupferfarbene Oberfläche in Brand. Ich betrachte das sich kräuselnde Wasser. Es schlägt ans Ufer und wartet darauf, dass es mich wegbringen kann.
    Ein Prickeln auf meiner Kopfhaut. Mein Herz stolpert ganz kurz und ich atme langsam und leise aus.
    Dort im Wasser neben dem Boot dümpelt eine einzelne Elysia-Blüte.

37
    Die einzelne
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