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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista
Autoren: Marco Malvaldi
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ich glaub schon, ja. Okay, dann zurück zur Bar.«

Zwei
    Es gibt Tage, die beginnen auf die beste aller möglichen Arten.
    Massimo hatte seinen Tag um halb sechs morgens damit begonnen, dass er beim Weckerklingeln die Augen aufschlug, während der Rest seines Körpers noch eine halbe Stunde in Morpheus’ Armen einforderte. Nachdem er irgendwie aufgestanden war, hatte er sich in Richtung Küche aufgemacht und es dabei geschafft, mit dem ungeschützten nackten kleinen Zeh gegen die Kante eines Möbelstücks zu stoßen. In der Küche angekommen, nach einem sowjetophilen Ballett (Sprünge auf einem Fuß, rhythmisch untermalt mit Flüchen), hatte er entdeckt, dass der Kaffee ausgegangen war und das einzige Essbare, was er im Kühlschrank hatte, ein Stück Pecorino war.
    Nachdem er sich mehr schlecht als recht angezogen hatte, war er nach unten gegangen, wo er entdeckt hatte, dass das Auto, an seinem üblichen Platz geparkt, den Ablauf des Pisa-Marathons in substanzieller Weise behindert hatte, der an jenem Morgen stattfinden sollte und dessen Strecke durch die Via San Marino führte. Daher hatte die Gemeinde es für unerlässlich befunden, den Wagen zu entfernen, damit am Ende nicht noch ein zerstreuter Läufer darüber stolperte, und ihn durch ein Schildchen ersetzt, das ihm mitteilte, dass er am Depot in der Via Caduti di Kindu vorbeischauen (klar, am Arsch der Welt, so geht man wenigstens mal ein Stück zu Fuß) und ihn dort, gegen die Entrichtung eines sympathischen Bußgeldes, wieder abholen könne.
    Es gibt Tage, die beginnen auf die beste aller möglichen Arten.
    Dieser war keiner davon.
    Am Steuer sitzend, hielt Massimo endlich auf seine geliebte Bar zu und versuchte, den biblischen Zorn loszuwerden, der ihn im Lauf des Morgens ergriffen hatte. Der Funke, der diesen Zorn entfacht hatte, war, wie geschildert, das Verschwinden des Autos gewesen; den Brennstoff hatte ein Spaziergang von vier Kilometern in Richtung Flughafen geliefert, auf dem Massimo sich selbst mit einer langen Reihe von Schmähungen gegen die Veranstalter des Marathons, gegen die Läufer selbst und gegen alle anderen, die rennen, ohne verfolgt zu werden, unterhalten hatte. Zusätzlich angefacht wurde das Feuer durch die Tatsache, dass er an jenem Morgen zu spät in die Bar kommen würde, was verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen würde.
    Erstens würde er es nicht schaffen, die Bar aufzumachen und sein halbes Stündchen in dem leeren und stillen Raum zu genießen, das er brauchte, um sich dem Tag stellen zu können.
    Zweitens würde er die »Gazzetta« schon von jemandem gelesen vorfinden. Also nicht mehr glatt und unberührt, mit jener wundervollen Haptik, die dem Papier einer druckfrischen Zeitung eigen ist, sondern bereits aufgeschlagen, zerknittert und von drei der vier Paare faltiger Hände berieben, die sie danach unordentlich an ihren Platz zurückgestopft hatten; ganz besonders Aldo, der eine funkelnagelneue Zeitung nur einmal in die Hand zu nehmen und auf den Tisch zu legen brauchte, damit sie nach wenigen Minuten aussah wie ein von einem epileptischen Anfall unterbrochener Origami-Versuch. Nun ja, die Armen, sie sind halt alt. Wenn sie’s in siebzig Jahren nicht gelernt haben, wie soll man ihnen das verflixt noch mal jetzt noch beibringen?
    Nachdem er den Wagen am Viale abgestellt hatte, war Massimo zur Bar gegangen. Dort hatte er unerwarteterweise einen Raum ohne alte Leutchen vorgefunden, nur mit Tiziana, die hinter dem Tresen stand, über das Waschbecken gebeugt, wobei das kleine Kreuz an dem Kettchen vor und zurückschaukelte, als versuche es, den wunderschönen Kalvarienberg zu erreichen, den das Glück ihm zugedacht hatte. Massimo konnte nicht anders, als den Anblick zu genießen.
    Weil Tiziana an jenem Morgen eine kurze Bluse angezogen hatte, die mit einem Knoten direkt unterhalb des Busens geschlossen war; dieselbe, die sie vor einem Jahr getragen hatte, als ein einzelner Tourist hereingekommen war, der, ohne den Blick von der Zeitung zu nehmen, einen Kaffee bestellt hatte. Während sie ihm den Kaffee einschenkte, hatte Tiziana gefragt: »Noch etwas Milch?«, und der Tourist hatte den Kopf gehoben und sich etwa fünf Sekunden gar nicht mehr gerührt, den Blick vollkommen in diesen Brüsten verloren. Dann hatte er gemurmelt: »Äh, vielleicht …« Tiziana hatte die Bluse einen Monat lang nicht mehr angezogen, und Massimo hatte jenen Touristen inbrünstig gehasst.
    Aber vor allem lag auf einem Tischchen die »Gazzetta«.
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