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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista
Autoren: Marco Malvaldi
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Noch unberührt. Rosa, glatt und mit derselben Falte, mit der sie vom Zeitungsmann geliefert worden war.
    Ohne auch nur zu grüßen, streckte Massimo den Arm aus und nahm behutsam die Zeitung auf, um sie hinter den Tresen zu legen; nachdem er sie in Sicherheit gebracht hatte, wandte er sich der Kaffeemaschine zu.
    »Dir auch einen schönen Morgen«, sagte Tiziana mit gespielter Fröhlichkeit.
    »Jetzt ist er das, danke«, antwortete Massimo, während er den Filter einsetzte. »Ist noch keiner aus dem Hospiz entkommen?«
    »Was denkst du denn?«, antwortete Tiziana. »Sie sind da hinten beim Billard und tuscheln.«
    Tja. Unberührte »Gazzetta«, die Alten hinten im Winkel und Tiziana im Minirock und mit geknoteter Bluse. Der Tag nahm eine vollkommen neue Wendung. Massimo streckte die Hand nach einem Hörnchen aus, und während er es ergriff, hörte er Ampelio aus dem Billardzimmer kommen, gefolgt von den anderen Vieljährigen, und wie üblich eilte ihm die eigene Stimme voraus, die sagte: »Kommt, kommt, wir zeigen es dem Jungen, und dann überlegen wir.«
    Da haben wir’s. Das war’s mit dem Frieden.
    »Was musst du dem Jungen zeigen?«, fragte Massimo, mit vollem Mund kauend.
    Wenn ein Fleck auf dem Billard ist, dann foltere ich ihn, wer immer es gewesen ist. Ich reiße ihm die Goldzähne aus und verkaufe sie, um von dem Geld einen neuen Bezug zu bezahlen.
    »Etwas aus der Zeitung.«
    »Ah. Das tröstet mich. Und was gäb’s da in der Zeitung?«
    Ampelio nickte Rimediotti zu, dem offiziellen Vorleser, der den »Tirreno« mit Sorgfalt in der Mitte aufschlug und die Seite glatt strich, die dem Autounfall gewidmet war. Nach einem geräuschvollen und produktiven Räuspern begann er:
    »Carpanesis Hoffnungen. Von Giovanni Caroti. Die Stimme ist gebrochen, der Blick schwer von tiefer Rührung. Mit der gleichen Rührung nickt Stefano Carpanesi, Senatskandidat für die Linken Demokraten bei den außerplanmäßigen Wahlen Ende Mai, Marina Corucci zu, seiner Parteigenossin und vor allem langjährigen Freundin, die gestern bei einem tragischen Autounfall auf der Stradale Aurelia (an der berüchtigten Kurve bei Procelli) schwer verletzt wurde und bei dem ihr Sohn, Giacomo Fabbricotti, ums Leben kam. ›Wir haben uns 1996 kennengelernt‹, sagt Carpanesi, ›ich erinnere mich noch sehr gut daran. Ihr Bruder hat uns bekannt gemacht, Pater Adriano, der vor Kurzem in den Konvent von Santa Luce eingetreten ist. Und dann haben wir sofort angefangen, zusammen Politik zu machen. Erst beim Kreis, danach …‹«
    »Danach weiß man ja«, unterbricht ihn Del Tacca. »Sie sind in die Gemeinde gekommen und haben da mehr Schaden angerichtet als ein Hagelsturm. Hast du das gehört?«
    »Ja. Hab ich gehört. Na und?«
    »Und jetzt behauptet der gute Carpanesi, dass er die Corucci ’96 kennengelernt hat.«
    »Ja. Auch das hab ich gehört. Und ich wiederhole mich: na und?«
    »Also, das ist eine Lüge. Erklär’s ihm, Aldo.«
    Aldo, die Hände in den Taschen, wandte sich nickend an Massimo.
    »Es ist eine Lüge, ja. Erinnerst du dich noch an den Bericht gestern Nachmittag, wo sie den Carpanesi mit Marina Corucci im Arm gezeigt haben?«
    »Ja, mehr oder weniger.«
    »Auf jeden Fall erinnerst du dich daran, dass ich den Ort erkannt habe, an dem sie waren?«
    »Ja. Vagli di Sotto. Ein Name, der Programm ist.«
    »Genau. Also, und du weißt, wofür Vagli di Sotto berühmt ist?«
    Nein. Und es interessiert mich auch nicht die Bohne.
    »Vagli di Sotto«, fuhr Aldo in gelehrtem Ton fort, »ist ein Dorf in der Garfagnana, im Tal des Edron, ein Fluss, der in den Serchio mündet. In der Nähe gibt es einen Stausee. Auf dem Grund dieses künstlichen Sees liegt ein untergegangenes Dorf, das der alte Weiler genannt wird. Dieser Weiler kommt nur einmal alle zehn Jahre ans Licht, nämlich dann, wenn der künstliche See abgelassen wird. Und nur wenn das Becken geleert wird, ist es möglich, den alten Weiler zu besuchen. Alles klar so weit?«
    Ich würde sagen, ja. Andernfalls würdest du ja nie ein Ende finden.
    »Also«, fuhr Aldo fort, »in den letzten Jahren hat sich die Bewirtschaftung des Sees geändert, und der See ist 1994 zum letzten Mal abgelassen worden. 2004 wurde das Becken nicht geleert und auch nicht in den folgenden Jahren. Jetzt klar?«
    »Nein.«
    Aldo seufzte.
    »In dem Film spazieren der Carpanesi und die Corucci durch das versunkene Dorf. Aber da sie beide keinen Taucheranzug anhaben, heißt das, dass sie diesen Spaziergang 1994 zum
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