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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten
Autoren: S Booth
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Augen ab.
    Sarah stand neben dem Bücherregal an der Tür. Sie streckte die Hand aus und strich über die Bücherrücken. Ihre Finger betasteten ein gefaltetes, eselsohriges Stück Papier, mit dem eine Seite in dem Band Twentieth-Century-Design markiert worden war. Schnuppernd versuchte sie, den Duft der Bücher einzuatmen, aber der vertraute Geruch nach Papier und Tinte schien heute Abend schwächer als sonst zu sein. Auf dem Umschlag von Subjects and Symbols in Art prangte ein kleiner Fleck. Sarah hatte die Stelle so oft berührt, dass er fast nicht mehr zu sehen war. Sie nahm den Band Art Deco Graphics und eine Monographie über David Hockney heraus und stellte sie umgekehrt wieder ins Regal zurück.
    In den meisten Büchern befand sich auf der Titelseite ein handschriftlicher Eintrag von Emma. Nur ihr Name und das jeweilige Datum, aber in ihrer Kontinuität schienen diese kargen Daten eine Art Enzyklopädie über einen bestimmten Abschnitt von Emmas Leben darzustellen.
    Alle diese Bücher hatte Emma einmal in der Hand gehalten und in ihnen gelesen. Das bedeutete, dass die Wörter auf ihren
Seiten Eingang in ihren Geist gefunden hatten und Teil ihrer selbst geworden waren. Sarah konnte zu einem Buch greifen, das Emma einmal aufgeschlagen hatte, und die Worte lesen, die Emma gelesen hatte.
    Sarah Renshaw ertappte sich oft dabei, dass sie die Bücher neu sortierte. Vielleicht konnte sie den Verlauf bestimmter Ereignisse in Emmas Leben ändern, indem sie die Daten in den Büchern verschob. Hätte sie dieses Buch vor jenem gelesen, wäre womöglich alles anders gekommen. Womöglich wäre Emma dann jetzt zu Hause und würde sich darüber beschweren, dass ihre Mum die Ordnung ihrer Bücher durcheinander brachte.
    Sarah wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie konnte sich gerade noch bremsen und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, damit Howard sie nicht hören konnte.
    »Ich werde dir helfen, sie dort wieder hinzustellen, wo du sie haben willst, Schatz. Das machen wir zusammen.«
    Seufzend wandte Sarah sich von dem Bücherregal ab und nahm einen Kalender, der auf dem Fernsehapparat lag. Mit zwei kurzen, präzisen Strichen aus einem schwarzen Filzschreiber strich sie einen weiteren Tag durch.
    Tag Nummer 743. Emma Renshaw wurde seit zwei Jahren vermisst.
     
     
    Entweder war das Gelächter im Dorf jetzt verstummt, oder die Frau, die diese Töne von sich gegeben hatte, war außer Hörweite. Derek Alton stand im Vorraum seiner Kirche und lauschte dem Motorengeräusch von Neil Grangers Wagen, der sich langsam aus Withens entfernte. Das Knattern folgte zuerst der Straße, die aus dem Dorf hinausführte, und schickte sich an, die Meilen kahlen Moorlandes in Richtung Tal von Longdendale in Angriff zu nehmen.
    Schließlich erstarb auch dieses Motorengeräusch hinter dem Hügel. Die Amseln ließen sich in den Eiben nieder, und Altons
Atem normalisierte sich wieder. Während sich die Dunkelheit über das Dorf legte, wurde es fast vollkommen still in Withens. Bis auf das Schreien.

2
    Samstag
     
     
    M it einer schwungvollen Bewegung der Schultern ließ ein Polizist in Schutzkleidung den Rammbock gegen die Tür krachen, die gleich beim ersten Aufprall splitterte. Er holte noch ein paarmal aus, und das dumpfe Geräusch von Metall auf Holz zerriss die Stille des frühen Morgens. Als das Türschloss zerbrach, ging eine Alarmanlage los, und der Polizist versetzte der Tür einen letzten Tritt mit dem Stiefel.
    Detective Constable Ben Cooper stand am Rand der Straße im feuchten Farn und beobachtete, wie Polizeibeamte in Kevlar-Westen in das Haus stürmten, während ihr Mannschaftsführer Befehle brüllte. Die Tür hatte für seinen Geschmack etwas zu leicht nachgegeben.Vielleicht hätte der Besitzer etwas mehr Geld in Sicherheit und weniger in Flachglasfenster und Veranden investieren sollen.
    »Jedenfalls machen sie nach außen hin den Eindruck von Leuten, die nichts zu verbergen haben«, sagte er. »Aber wer weiß, wie hoch die Heizkosten sind. Bei den vielen Glasflächen.«
    Cooper spürte einen feinen Nieselregen in der Luft, der weich wie Federn über sein Gesicht strich. Sonne und Regenschauer wechselten sich so schnell über den Bergen ab, dass einem fast schwindlig werden konnte. Obwohl er sich nicht bewegte, schien er in rascher Folge vom Dunklen ins Helle und wieder zurück zu treten, während die Wolken sich vor die Sonne schoben, ihren Regen auf ihn entluden und vom Wind westwärts getrieben wurden. Die
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