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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe
Autoren: Will Berthold
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»Und wie alt bist du?«
    »Ich werde bald elf«, antwortete er und setzte als kleinlauter Großsprecher hinzu: »Warten Sie erst mal, bis ich fünfzehn bin.«
    »Was ist mit Onkel Sigi?« fragte ich nach dem Junior-Teilhaber der RAPLA-Werbung.
    »Er macht mir Sorge«, erwiderte der intelligente Knirps. »Wissen Sie, er ist mein großes Vorbild. Aber seine Weibergeschichten …«
    »Was verstehst denn du davon?«
    »An jedem Finger zehn …«
    »Das wären hundert«, antwortete ich. »Ist das nicht ein bißchen übertrieben?«
    »Sicher«, versetzte Klaus und grinste breit, »aber in unserem kreativen Gewerbe zählt die Regel: Wer übertreibt, erzählt anschaulich.«
    Ich lachte und flüchtete gleichzeitig vor diesem superklugen Schulschwänzer. Ich ließ mir einen Arbeitsraum zuweisen und rief Cora an: »Was hältst du von einem kleinen Umweg vor unserer großen Fahrt?« fragte ich.
    »Wo steckst du?« erwiderte sie mit leichtem Misstrauen.
    »In Düsseldorf, der Etappenstadt des durstigen Reviers«, antwortete ich. »Ich will dich ja nicht degradieren«, fuhr ich fort, »aber könnte es dich reizen, ein paar Tage als Werbetexterin zu arbeiten?«
    »Ein paar Tage«, entgegnete Cora. »Aber keine Stunde länger.«
    Sie konnte ihren Urlaub vorverlegen und kam bereits am nächsten Tag. Ich holte sie am Flugplatz ab. Ich streichelte Cora, ohne daß sich meine Hände rührten. Sie trug ein kleines Hütchen und ein pikantes Lächeln, eine große Sonnenbrille, und sie führte viel unbekümmerte gute Laune mit sich.
    »Vielleicht gar keine so schlechte Idee von dir, Mike«, sagte sie. »Es hat mich schon immer mal gereizt, Werbetexte zu verbrechen.«
    Wir betraten das Haus und meldeten uns zuerst beim Art-Director an. Er war dick, mächtig, saß an einem kolossalen Schreibtisch, redete, telefonierte, schimpfte und lobte gleichzeitig. Seine männlichen Mitarbeiter trugen die Haare extrem lang, seine weiblichen ganz kurz, kürzer ging's nicht. Alle tarnten ihre Tüchtigkeit hinter einem Ton sanfter Blödelei. Mich bemerkte man überhaupt nicht. Aber dann, mitten in seiner Tirade, sah Jürgen Niebier auf und musterte Cora Draist wie ein Kalb bei der Körung.
    »Komm mal her«, sagte er. »Kannst du lächeln?«
    Meine Assistentin verzog das Gesicht.
    »Bestens«, sagte der Mann, der die theoretischen Ergüsse seiner Mitarbeiter in die Praxis zu übersetzen hatte. »Verpasst ihr 'ne zahm-rote Perücke und nehmt sie gleich mit nach Teneriffa.«
    »Ein Missverständnis«, entgegnete die Soziologin. »Ich heiße Cora Draist und soll bei Ihnen als Texterin …«
    »Schade«, erwiderte Jürgen Niebier und rief seinen Leuten zu: »Sucht euch 'ne andere, aber dalli, dalli!«
    Er langte in den Papierkorb, in dem nicht nur die Ideen im Hundert landeten, sondern auch eine Flasche PROMILLE stand. Er öffnete sie und schob sie ihr zu:
    »Willst 'nen Schluck?«
    »Danke.«
    »Haste schon Erfahrungen mit der Werbung, Mädchen, oder hat dir der Junior wegen deiner schönen Beene anjestellt?«
    »Ich wurde vom Senior engagiert«, erwiderte Cora.
    »Denn mußte wat können«, versetzte der Art-Director leicht überrascht.
    »Wieso?« fragte Cora. »Stellt denn der Junior nur Flaschen ein?«
    »Der Junior …« erwiderte Niebier gedehnt und grinste sonnig, nahm mit einem Schluck etwa 0,3 Promille. »Weeste wat, Mädchen …« Er fuhr sich mit seiner großen Hand über den Mund. »Von Männern verlangt er det Doppelte und von Mädchen det übliche …«
    Jetzt endlich sah er mich.
    »Was machen Sie denn hier, Mann?« fragte er.
    »Finanzamt«, erwiderte ich. »Buchprüfung.«
    »Auch det noch!« stöhnte Niebier und drehte sich um. »Kinder, bringt die Portokasse in Ordnung. Der Pfennigklau jeht um!«
    Cora lachte, und ich zeigte die von Amtspersonen erwartete humorlose Miene.
    Fraglos war ich an einen der farbigsten Aufträge meiner Laufbahn geraten.
    Wir arbeiteten uns rasch in den Fall ein, aber wir kamen keinen Schritt weiter, obwohl es nicht reizlos war, im Privatleben der Werbeleute herumzuschnüffeln. Wir stießen auf unübliche Lebensgewohnheiten. Aber was die Werkspionage anbelangte, arbeiteten wir in keinem Goldbergwerk, und so förderten wir ausschließlich Belanglosigkeiten zutage.
    Wenn ein Texter einen Sportwagen fuhr, dann hatte er ihn sich auch verdient. So verschieden und schillernd diese kreativen Typen auch waren, als Team hielten sie eisern zusammen. RAPLA-Mitarbeiter konnten sich ihre Tätigkeit wie einen Orden ins
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