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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Gefühle , dachte Kirchner.
    »Deca war guter Laune«, fuhr der Fischer fort, »müde, aber guter Laune. ›Jetzt kümmern wir uns aber noch um den Baum‹, hat er gesagt.«
    Mit einem Vorschlaghammer versuchten sie, das tonnenschwere verkantete Metallgestänge frei zu bekommen, das dauerte.
    »Ich hatte sogar überlegt, ob ich den Kutter seitlich gegen die Kaimauer fahren sollte, um das verklemmte Teil mit der Wucht des ganzen Bootes frei zu schlagen, aber ich ließ es dann sein, weil Deca sagte, er würde es nur in Stücke brechen. Mit vereinten Kräften, dem Vorschlaghammer und viel Hin und Her an der Winde schafften wir es endlich auch so. Die Baumkurre sprang mit einem scharfen Kreischen aus ihrer Verkantung, und ich stieg ins Führerhaus, um sie vollends zurück an Bord zu hieven. Ich bediente die Hebel, und dann hörte ich draußen auf einmal einen markerschütternden Schrei, den ich erst gar nicht Nadine zuschrieb, so fremd hörte der sich an. Ich stürzte nach draußen, um zu sehen, was vor sich ging. Deca stand da wie versteinert, Nadine hatte die Augen weit aufgerissen und beide Hände vor den Mund geschlagen. Und dann erstarrte ich selbst vor dem, was ich sah: Vor uns, auf der Kutterkante backbord, schimmerte die bleiche Haut von Lacombes Leiche durch ein vielfach in sich verdrehtes, stramm aufgerolltes Netz, das sich um den Körper gedreht hatte. Wir hatten den die ganze Zeit dabeigehabt. Stundenlang sind wir herumgefahren, haben Calvados getrunken, haben den Sturm bewältigt, haben gedacht, der Albtraum ist vorbei«, sagte Guillaume tonlos, »aber dabei hatte er gerade erst angefangen.«
    »Aber wie konnte das denn passieren?«, fragte Kirchner. »Ich versteh’s nicht.«
    Guillaume schaute stumpf vor sich hin. »Ich hab auch an meinem Verstand gezweifelt. Aber eigentlich ist es nicht schwer zu verstehen. Die Leiche muss irgendwie in das Stück Netz reingerutscht sein, das mit der abgestürzten Baumkurre im Wasser hing, die lag da drin wie in einer Hängematte. Und die hat sich während der Fahrt um sich selber gedreht, wieder und wieder, bis es am Schluss ein großer Rollbraten war. Na ja, das ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber Sie wissen schon, wie ich’s meine.«
    Nadines furchtbarer Schrei hatte nicht nur Guillaume erschreckt. Auch ein paar Arbeiter von der Fischhalle hatten ihn gehört und liefen herbei. Das wurde Guillaume, Nadine und Deca zum eigentlichen Verhängnis.
    »Es gab einen Menschenauflauf«, sagte Guillaume, »also keinen großen um die Zeit, aber da standen bestimmt mit einem Mal zehn, zwölf Leute auf dem Kai. Und die haben gesehen, dass da eine Leiche war. Und damit war klar, dass wir aufgeflogen waren.«
    »Es brauchte eine neue Legende.«
    »Ja, wir mussten uns etwas anderes einfallen lassen.«
    »Die Geschichte mit der Rache und dem Angst machen«, sagte Kirchner.
    »Das kam erst später. Erst mal haben wir einfach so getan, als wüssten wir selber nicht, was passiert war. Wir haben die Küstenpolizei alarmiert und denen was von Unfall erzählt und dass wir die Leiche da zufällig mitgeschleppt hatten, auf dem Meer ist viel möglich, wissen Sie? Die Sache mit der Rache hat sich Deca später ausgedacht, falls es mal einer ganz genau wissen wollte. Ich meine, wir mussten den alten Decayeux ja auch decken, und wir mussten uns selber schützen, wir saßen ja alle in einem Boot.«
    »Aber es war doch klar, dass alles auffliegen würde«, warf Kirchner ein, »mit dem Loch im Kopf konnte doch eure Geschichte nicht aufgehen?«
    »Ja ja, das sagen Sie, weil Sie den Bericht da von der Leichenschau gelesen haben. Aber wer kennt den schon? Der alte Decayeux hat gesagt, wir sollten uns keine Sorgen machen. ›Mal sehen‹, hat er gesagt, ›ob wir das Loch in Lacombe nicht wieder zukriegen.‹«

XI.
    A ls Kirchner nach den zwei Stunden, die er mit Guillaume verbracht hatte, zu seinem Auto zurückkehrte, stellte er den Blackberry wieder an und hatte achtundsechzig neue E-Mails und zwölf Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Als er die Ziffern sah, wusste er, dass die Jagd begonnen hatte.
    Die Agenturen, AFP vorneweg, hatten um elf Uhr dreizehn die erste Eilmeldung verschickt: Finanzminister Lacombe tot aufgefunden . Im kurzen Fließtext war die Rede von einem Segelunfall.
    Kirchner konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
    Die Sprachnachrichten auf seinem Telefon waren von Pelleton. Er wollte jetzt Text sehen, er war außer sich.
    Kirchner entschied sich dafür, den Stoff
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