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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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hundertfach überlesen, umgeschrieben, gekürzt, durcherzählt war und er endlich die Sendetaste drücken konnte, um das Werk abzugeben. Alles einzuspeisen in den Bauch der Zeitung, wo nun hundert Hände damit beschäftigt waren, den Text in die Spalten zu fügen. Schlagzeilen und Zwischenüberschriften anzufertigen. Bildunterzeilen zu schreiben. Grafiken zu basteln. Fotos auszusuchen. Die ganze, komplizierte Druckfassung des Manuskripts zu erstellen, die Ankündigungstexte, die kurzen Zeilen für die Inhaltsverzeichnisse und die Anreißer für die Händlerschürzen, wie die Werbeplakate für Zeitungen hießen, die bald an allen Kiosken des Landes die Sensation, den Skandal in die Welt schreien würden.
    Entspannt, nach dem Wahnsinn des schnellen Schreibens, klickte sich Kirchner noch einen Moment lang durch die laufende Berichterstattung, die Eilmeldungen, die Internetseiten der Radio- und Fernsehstationen, die Online-Auftritte der Magazine und Konkurrenzzeitungen. Sie hatten sich alle auf das Thema gestürzt, räumten Platz frei für den toten Minister, für das dunkle Geheimnis von Arcachon, aber sie waren alle auf dem falschen Dampfer. Sie wiederholten nur ahnungslos die halb erlogene, halb erfundene offizielle Version der Ereignisse, die das Presseamt der Regierung ausgegeben hatte.
    Nur ein paar Stunden später würden die Kollegen, würden Frankreich und die Welt durch Kirchner erfahren, was vor Cap Ferret wirklich vorgefallen war.
    Die offizielle Version glich einem hilflosen Versuch, den Mord an Lacombe als Unfall wegzuwischen. Der alte Decayeux hatte vorerst damit recht behalten, dass man das Loch im Kopf des Finanzministers wieder zukriegen konnte – die Pressemitteilung des Regierungssprechers erwähnte es jedenfalls nicht. Die Todesursache blieb im Dunkeln. Tatsächlich beschränkte man sich auf drei, vier gestanzte Sätze, die den Tod Lacombes so nüchtern vermeldeten, als sei der Minister friedlich in seinem Bett gestorben.
    Kirchner wusste es besser, und seine Berichterstattung in Le Monde würde den Pariser Laden aufmischen. Er freute sich darauf, die gedruckte Ausgabe in Händen zu halten, er war gespannt auf die Aufmachung, auf Pelletons Kniffe, dem Stoff auch graphisch einen Kick zu geben.
    Der Le-Monde -Chef war ein Meister der Zuspitzung, er ging manchmal so weit dabei, dass Kirchner mit ihm darüber schon in Streit geraten war. Aber wenn er dann die Zeitung in Händen hielt, musste er seinem Chef am Ende doch meistens recht geben.
    Im vorliegenden Fall würde sich Pelleton dafür entscheiden, den Käufern und Lesern ein klassisches Drama hinzuwerfen. Seine Schlagzeile, über die ganze Breite des Berliner Formats gezogen, lautete schlicht: Ein Mord und viele Fragen – vom Leben und Sterben des Julien Lacombe , und gleich darunter würde stehen, in zwanzig Punkt kursiv, größer als normal, weil die ganze Aufmachung größer war als normal: Von Antoine Kirchner, zurzeit Arcachon .
    Kirchner rief Lasserre an, dankte dem Koch noch einmal für seine Gastfreundschaft, packte seine Kladden, die Papiere und den Computer ein, räumte den Tisch von der Veranda ins Innere und verließ das schöne Restaurant Chez Janine , wie Lasserre ihn gebeten hatte, durch die Hintertür, die er mit einem unter dem Fensterbrett versteckten Schlüssel verschloss.
    Er ging zu seinem Landrover, ließ den Rucksack auf den Beifahrersitz fallen, drehte fröhlich den Zündschlüssel und machte sich auf den Heimweg, während draußen vor den Autofenstern das behagliche Arcachon, der schöne Meerbusen, die Düne von Pilat und die wundersame Vogelwelt von Aquitanien ein letztes Mal an ihm vorbeizogen.

XII.
    K annst du jetzt bitte noch mal Garcin anrufen, wo der Steinbutt bleibt?«, rief Kirchner aus dem offenen Küchenfenster seinem Vater zu, der vor dem Haus die Rhododendren für den Winter einpackte, während Filou am Holzlattenzaun entlangsprang.
    Der Alte machte ein Handzeichen, dass er sich kümmern werde.
    Kirchner drehte sich wieder in die Küche hinein und besah sich den Arbeitstisch um seine Feuerstelle, auf dem sich rohes Essen herrlich stapelte wie auf einem prunkvollen Gemälde aus alter Zeit.
    Die ersten Gäste seines Herbstfests würden in wenigen Stunden eintreffen.
    Kirchner ging in seinem Kopf noch einmal durch, womit er sie bewirten wollte, er schritt die Zutaten ab wie eine militärische Parade und studierte versonnen den DIN-A4-Zettel, auf dem er seine Menüfolge aufgeschrieben hatte.
    Vier entbeinte Keulen
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