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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Sportminister Creuzet und seine frisch angetraute Evelyne waren weitgehend unbehelligt geblieben, von einer Geschichte in Paris-Match abgesehen, mit der Bilder veröffentlicht worden waren, die Evelyne und ihren Ex-Freund Lacombe in zärtlichen Momenten zeigten.
    Das Projekt Nautilus war tot.
    Es hieß, der Präsident der Republik persönlich habe in Bordeaux interveniert, um eine positive Entscheidung der Präfektur zu verhindern. Der Élysée-Palast fürchtete, in die Sache noch weiter hineingezogen zu werden als ohnehin schon, man kündigte eine große Regierungsumbildung an.
    Der Mord und seine Umstände blockierten die politischen Apparate in der Hauptstadt, die in den Monaten zuvor eigentlich damit beschäftigt gewesen waren, eine umfassende Gesundheitsreform ins Werk zu setzen. Diese Arbeit ruhte nun. Es stellte sich derweil das Gefühl ein, einer Regierung auf Abruf beim Einpacken zuzusehen.
    Am schädlichsten war, dass Kirchner in seiner dritten Folgegeschichte – weiter angereichert um neue Details – die Freundschaft des Präsidenten mit dem gefallenen Austernzuchtfunktionär Decayeux eindrücklich beschreiben konnte. Es war noch nicht einmal völlig auszuschließen, dass sich der Präsident der Republik selbst ab und an mit ein paar Damen amüsiert hatte, die ihm Decayeux, Fleurice und andere zugeführt haben könnten – ein Umstand, der das katholische Frankreich aufwühlte und der den Weihbischof von Avignon zu einer furiosen Predigt gegen den Sittenverfall angestachelt hatte, deren geschliffener Text im ganzen Land kursierte.
    Bei seiner Heimkehr in die Normandie hatte Kirchner, erschöpft, wie er war, den Vater, den Hund und seine Küche wohlbehalten wiedergefunden.
    Er war froh, wieder daheim zu sein, und machte lange Spaziergänge mit Filou im Watt und durch die Wiesen, auch an der Pointe du Hoc. Er genoss die letzten warmen Herbsttage, sah den Bäumen dabei zu, wie sie ihr Laub verloren, und spielte abends mit George Schach am Kamin, während sie Gemüsescheibchen knabberten, die Kirchner in Sonnenblumenöl frittiert hatte.
    Um dreizehn und um zwanzig Uhr schalteten sie den Fernseher ein, um in den Hauptnachrichten auf France 2 die neuerlichen Verbiegungen der beschuldigten Politiker und der unschuldig tuenden Vertuscher zu verfolgen, und in einer Mischung aus Verblüffung, Empörung und Amüsement hatten sie den letzten Auftritt des Verteidigungsministers Fleurice miterlebt, der im Grand Journal von Canal+ kaltblütig sagte, sein Herz sei so rein wie das eines neugeborenen Kindes.
    Nun war das Wochenende des großen Herbstfests da, das Kirchner alle Jahre ausrichtete.
    Um kurz vor fünf hupte es zum ersten Mal vor dem Hoftor, und Pelleton glitt herein in seinem dunkelgrünen Jaguar, den er wie immer von einem jungen Adjutanten fahren ließ, dem er beim Essen später verliebte Blicke zuwerfen würde.
    Kirchner ging vor die Tür, wischte sich die Hände an der Schürze ab und freute sich auf Pelletons Auftritt.
    Der Le-Monde -Chef, ein kleiner, gepflegter, drahtiger Mann in einem feinen Nadelstreifenanzug, lief eilig auf Kirchner zu. Er hatte die Mode der getönten Hemden nie mitgemacht, sondern trug unter seinen Sakkos immer feierliches Schneeweiß.
    Jetzt wedelte er mit den Händen in der Luft, schüttelte seine diamantbesetzte Rolex , und mit vor Bewegung und Freude bebenden Zügen rief er: »Antoine, ach, mein Guter, endlich sehen wir uns!« Mit diesen Worten nahm er, der deutlich kleinere Mann, den großen, schweren Kirchner von unten herauf in die Arme. »Es lohnt sich doch immer, dich irgendwo hinzuschicken«, sagte er, »danach wackelt mindestens die halbe Republik.« Und, als er Kirchners Vater sah, der sich zum festlichen Anlass fein gemacht hatte, indem er seine Gummistiefel auf Hochglanz poliert und unter seinem V-Pullover eine Krawatte umgebunden hatte, fügte er hinzu: »George, wie schön, Sie wiederzusehen. Was machen die Äpfel?«
    In schneller Folge trafen nach Pelleton die Gäste ein.
    Chapon, der dicke Fotochef von Le Monde , kam im Taxi vom Bahnhof in Carentan. Er brachte Berthe Fichier mit, die kluge Archivarin, die stets eine Aura der 1950er-Jahre um sich hatte; sie trug einen Schottenrock und die Haare zum Dutt gebunden. Kirchner freute sich, sie zu sehen; sie zählte zu den klügsten Frauen, die ihm im Leben begegnet waren. Als die beiden aus dem Taxi stiegen, umgab sie der kalte Rauch von Chapons Zigarren und Fichiers dünnen Damenzigaretten, die sie mit einer
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