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Die dunkle Schwester

Die dunkle Schwester

Titel: Die dunkle Schwester
Autoren: Frewin Jones
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nur!«
    Tania hielt den Atem an. Im ersten Moment vernahm sie nichts außer dem Zischen der Fackel, aber dann drangen andere Geräusche an ihr Ohr: ein leises Scharren und Schleifen aus einem der Nebengänge, ein scharfes Klicken wie von ungeduldig trommelnden Fingernägeln. Nein, keine Fingernägel, dafür war das Geräusch viel zu lau t – es klang mehr nac h … Klauen.
    Dann entfernte es sich wieder und Tania atmete auf. »Was war das denn?«, flüsterte sie.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Sancha. »Eines dieser Ungeheuer von Lyonesse vielleicht. Sei dankbar, dass wir der Kreatur nicht über den Weg gelaufen sind.«
    »In wie vielen Kerkern müssen wir noch suchen?«, fragte Zara.
    »Es sind nur noch wenige«, sagte Sancha. »Vier oder fünf vielleicht.«
    Als sie um eine Biegung kamen, lag dort ein Toter auf dem Boden. Er trug die schwarze Uniform der Kerkerwachen.
    »Sein Gesicht!«, stieß Zara entsetzt hervor. »Seht euch nur sein Gesicht an!«
    Widerstrebend schaute Tania genauer hin. Das Gesicht des Toten war grausam entstellt und sah wie geschmolzenes Wachs im Fackelschein au s – die Augen weit aufgerissen, der Mund in äußerster Qual verzerrt.
    Sancha schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich kenne diese Maske«, wisperte sie. »Ich habe in den alten Bestiarien der Bibliothek darüber gelesen. Eine Totenmaske, der Rictus basiliskus , wie man sie bei den Opfern des Basilisken findet. Gesichter, die in blankem Entsetzen erstarrt sind.«
    »Des Basilisken?«, wiederholte Edric. »Wie kommt ein Basilisk hierher? Ich dachte, die leben nur im hohen Norden.«
    »Cordelia hatte einen Basilisken in ihrer Menagerie«, sagte Tania, die an ihre Begegnung mit dem unheimlichen Wesen in der Holzhütte dachte. Das Einzige, was sie von ihm gesehen hatte, war ein glühendes rotes Auge gewesen, das zu ihr herausgestarrt hatte. Aber dieser Blick allein hatte genügt, um ihr jede Kraft zu rauben und ihren Geist zu verdunkeln, bis Gabriel Drake sie im letzten Moment weggezerrt hatte.
    »Wahrscheinlich ist er entkommen und aus dem hellen Tageslicht hier heruntergeflüchtet«, sagte Edric.
    »So wird es sein«, stimmte Sancha zu, »denn das hätte er gewiss getan. Diese Geschöpfe gedeihen nur in Kälte und Finsternis und das Verlies ist genau der richtige Ort für ihn.«
    »Er soll nur kommen!«, rief Zara und schwenkte kampfeslustig ihr Schwert. »Ich bin bereit!«
    »Nein, Schwester, gegen den Basilisken vermag kein Schwert der Welt etwas auszurichten«, wehrte Sancha ab. »Er hat Federn so hart wie Stein, und an den federlosen Stellen wachsen ihm Schuppen, an denen die schärfste Klinge abprallen muss.«
    Vorsichtig gingen sie weiter, warteten an jeder Biegung, lauschten auf jedes Geräusch und spähten angestrengt in die Dunkelheit, ob irgendwo Fackeln brannten. Es dauerte nicht lange, bis sie den nächsten toten Wächter fanden, der zum Glück mit dem Gesicht nach unten lag. Vom Basilisken selbst war nichts zu sehen, nur Schatten tanzten über die Wände.
    Endlich hielt Sancha vor einem langen niedrigen Gewölbe an. Nach einer Weile drehte sie sich um, mit hängenden Schultern, das Gesicht blass und angespannt. »Wir sind am Ende unserer Suche«, murmelte sie und deutete auf die Gangmündung. »Der Weg dort führt zur Diamantenen Tür zurück.« Ihre Stimme versagte. »Unser Vater ist nicht hier.«
    Tania dachte an ihre eigenen Worte, die sie der Königin entgegengehalten hatte, ehe sie zum Palast gegangen waren. »Wer sagt uns denn, dass er überhaupt im Verlies ist, wie wir alle glauben?«
    »Na gut, dann müssen wir eben den ganzen Palast nach ihm absuchen«, sagte Sancha darauf entschlossen. »Wir können doch jetzt nicht einfach aufgeben.«
    »Den ganzen Palast?«, rief Zara aus. »Barmherzige Geister! Das würde uns viele Tage beschäftigt halten.«
    »Nein, wartet!«, stieß Sancha plötzlich hervor. »Was bin ich doch töricht! Es gibt noch einen anderen Weg, unseren Vater zu finden. Hätte ich nur früher daran gedacht, dann wäre uns diese fruchtlose Sucherei erspart geblieben.« Dann eilte sie in den Gang, der zur Diamantenen Tür führte.
    »Was ist, Schwester?«, rief Zara und folgte ihr.
    »Wir müsse n …« Aber Sancha konnte ihren Satz nicht beenden. Ein brüllendes Monster stürzte aus dem Gang hervor.
    »Geschwind, bedeckt eure Augen!«, schrie Zara. »Der Basilisk ist über uns!«
    Tania riss die Arme hoch, doch für den Bruchteil einer Sekunde nahm sie die Gestalt des Monsters wahr. Der Basilisk war
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