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Die dunkle Göttin

Die dunkle Göttin

Titel: Die dunkle Göttin
Autoren: Wolfgang David; Thon Weber
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Aufmerksamkeit.
    Natürlich kannte Leeana den Grund dafür. Domina Yalith hatte das während ihres Aufnahmegesprächs sehr unmissverständlich
angesprochen, obwohl die Domina dies gar nicht hätte tun müssen. Allein ihre Anwesenheit hier in Kalatha wurde als Bedrohung aufgefasst. Sie war sicher, dass ihre Eltern und die Familie, vor der sie geflohen war, ihr Verhalten den Kriegsbräuten im Allgemeinen und Kalatha im Besondern nicht vorwerfen würden, doch die anderen Bewohner von Kalatha teilten diese Zuversicht offenbar keineswegs. Sie fragten sich gewiss, ob ihre Entscheidung, hierher zu flüchten, Baron Tellians Entscheidung beeinflussen könnte, wenn es irgendwann zu einem Kräftemessen zwischen ihnen und einem seiner Vasallen käme. Und einige dieser Frauen überlegten gewiss auch, was die Tochter eines der zweifellos mächtigsten Adligen des ganzen Königreiches veranlasst haben konnte, ausgerechnet zu ihnen zu fliehen. Warum sollte sie ihren Wohlstand und ihren Rang aufgeben? Oder die Macht eines Vaters, dessen Bedeutung sie vor all den Widrigkeiten schützte, wegen denen die Kriegsbräute vor ihren Familien oder Heimen geflohen waren. Was hatte er getan, dass sie vor ihm weglief? Aus welchem Grund hasste sie ihn so sehr?
    Leeana hätte sich am liebsten umgedreht und sie angeschrieen. Sie wollte ihnen zurufen, dass sie sich irrten, was das Verhalten ihres Vaters betraf, und dass sie Närrinnen waren anzunehmen, dass er ihr jemals wehtäte. Sie wollte herausschreien, dass sie Schloss Hügelwacht nicht deshalb verlassen hatte, weil sie ihre Eltern hasste, sondern weil sie die beiden so sehr liebte. Das hätte ihre Lage jedoch nur verschlimmert oder die Frauen davon überzeugt, dass sie den Verstand verloren haben musste. Also nahm sich Leeana ein Beispiel an Garlahna und tat, als würde sie all das Starren und Getuschel nicht bemerken.
    Allerdings bezweifelte sie, viele täuschen zu können.
    Garlahna zum Beispiel hatte sie nicht hinters Licht führen können. Ihre Mentorin hatte zwar nie auf die Blicke angespielt, aber sie nutzte jede Gelegenheit in ihrer Unterhaltung mit Leeana, um die Stimme zu erheben und einige markige
und bissige Bemerkungen über kleingeistige, hinterwäldlerische Klatschblasen einzuflechten oder über Frauen, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wussten, als Idioten aus sich zu machen, indem sie vollkommen gewöhnliche Menschen wie Monstrositäten angafften. Wenigstens einige der Gafferinnen schienen Garlahnas nicht gerade feinsinnige Winke zu begreifen und kümmerten sich schon bald wieder um ihre eigenen Angelegenheiten. Die meisten jedoch glotzten weiter. Dennoch wusste Leeana die Bemühung ihrer Mentorin zu schätzen.
    Ihr erster Zwischenhalt war die Verwaltung von Kalatha, deren Büro im Rathaus angesiedelt war. Es befand sich auf der anderen Seite des Gebäudes, in dem auch Domina Yaliths Zimmer lag. Leeana war ein wenig überrascht von der ruhigen, organisierten Wirkungskraft dieses Amtes. Eigentlich gab es keinen Grund für ihre Überraschung, offenbar hatte sie aber unbewusst mehr traditionelle Vorurteile gegen die Kriegsbräute verinnerlicht, als sie selbst vermutet hatte. Der Anblick der langen Reihen von Aktenschränken, an denen jede Schublade und jedes Fach fein säuberlich beschriftet und mit Aktenordern oder Karteikarten gefüllt war, erstaunte sie.
    Baron Tellian war einer der fortschrittlichsten Männer des Hochadels der Sothôii, und er hatte erst kürzlich damit angefangen, die Übertragung der alten, umständlichen Schriftrollen, auf denen alle wichtigen Dokumente wie üblich notiert wurden, in Karteien und Aktenarchive einzuleiten. Es schien merkwürdig, dass dieser Vorschlag ausgerechnet von ihm kam, wenn man bedachte, wie viele Originaldokumente seines Geläufs auf eben diesen altmodischen Schriftrollen aus Pergament festgehalten waren. Dennoch war Tellian entschlossen, so viel wie möglich an dieser altmodischen Form der Lagerung von Aufzeichnungen und der Verwaltung zu ändern. Diese Idee stammte ursprünglich aus dem Reich der Axt, wie auch viele andere Neuerungen in der Verwaltungsorganisation. Doch Tellian hatte ihre vielfältigen Vorteile sofort erkannt.

    Kalatha dagegen schien nun denselben Prozess, mit dem er gerade erst begonnen hatte, bereits vor einigen Jahren abgeschlossen zu haben. Das hätte Leeana niemals erwartet. Andererseits, so sagte sie sich, musste Kalatha auch weit weniger Schriften bewältigen, und der Verwaltungsbereich der Stadt
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