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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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habe? Ob denn der Krieg das alles wert sei? Aber er hatte nur die Schultern gezuckt und gemeint, dass Kriege etwas seien, was sich verselbstständige, und dass der einfache Soldat niemals von ihnen profitiere. Das täten nur die Herrschenden, welche die Schlachten vom grünen Tisch aus dirigierten, und die Waffenproduzenten. Der Soldat verglühe in seinen Stahlgewittern und werde körperlich und seelisch zerstört.
    Erhaben wäre der Krieg nur für die Geschichtsbücher.
    Das hatte mich betroffen gemacht und ich hatte mich in meinen Lieblingsbaum zurückgezogen. Eine alte knorrige Linde. Hoch oben in der Baumkrone beweinte ich den Tod meines Vaters und verfluchte all jene, die ihn und so viele andere Soldaten auf dem Gewissen hatten.
     
    Die drohende Stimme eines großen, hageren Mannes mittleren Alters drang in meine Gedanken, und als ichden Blick hob, sah ich in seine wässrig blauen Augen, die dumpf unter einem schweißverklebten hellblonden Haarschopf zu mir herüberstarrten.
    »Du bist schlecht«, sagte er böse und ganz eindeutig auf mich gemünzt, »deine Seele ist schwarz und die Liebe in dir ist verdorrt. Der Herr wird dich bestrafen, weil du ihn verleugnest!« Er richtete sich hoch auf und brüllte:
    »Warum tust du nicht Buße für deine Sünden? Willst du im Fegefeuer schmoren?«
    Eine junge Frau erbleichte und begann sich mit dem Hämmerchen auf die Hand zu schlagen, wieder und immer wieder, bis ein Pfleger ihr das Werkzeug entwand. Ein zweiter Pfleger, ein kräftiger, bulliger Mann, drückte den Prediger wieder auf seinen Stuhl.
    »Ist gut, Moses, sie wird Buße tun. Halt jetzt das Maul!«
    Einige der anderen Patienten kicherten. Ein weißhaariger alter Mann zwinkerte mir listig zu und zischelte hinter vorgehaltener Hand: »Er ist verrückt, weißt du, sie sind alle verrückt hier. Wenn du mit einem vernünftigen Menschen sprechen willst, halte dich an mich. Ich bin nur alt, aber nicht blöde und auch keiner von diesen Krüppeln, denen man das Gehirn weggeschossen hat!«
    Der Prediger sah weiterhin böse zu mir herüber, als der muskulöse Pfleger zu mir trat.
    »Hör nicht auf Methusalem, der spinnt genau wie alle hier, Altersschwachsinn, morgen kennt er dich und sich nicht mehr.« Er nahm ein Brettchen und Hammer und Nägel.
    »Komm, versuch es mal. Es gehört zur Therapie, du musst dich daran beteiligen, sonst kriegst du Ärger …«
    Er sprach freundlich, es gab keinen Grund, seinen Worten nicht Glauben zu schenken, und da ich keinen Ärgerwollte, ließ ich mir von ihm zeigen, wie man eine Zigarrenkiste zusammenbaute. Doch es war mir in seiner Sinnlosigkeit zuwider, und als ich mir mehrfach auf die Finger geschlagen hatte, warf ich Werkzeug und Brettchen wütend hin und sprang auf.
    »Was soll mir das helfen?«, schnaubte ich. »Dabei verblödet man doch erst recht!«
    Ich hatte diese Worte kaum hervorgestoßen, als ich recht grob wieder auf meinen Stuhl gedrückt wurde. Aber anders als der Prediger dachte ich gar nicht daran, weiter an diesem Schwachsinn teilzunehmen, und wehrte mich ziemlich handfest dagegen. Der Stuhl kippte polternd zu Boden, und sofort ergriffen mich zwei Pfleger und drehten mir die Arme auf den Rücken.
    »Dann nicht«, sagte der eine, und der andere, der zu mir über Methusalem gesprochen hatte, raunte mir zu: »Hör auf, du tust dir nichts Gutes.«
    Das versuchte er mir dann zu tun.
    Als die beiden mich gegen meinen fluchenden und strampelnden Widerstand wieder in die fensterlose Zelle geschleppt hatten, kehrte er nach etwa einer halben Stunde zurück. Er setzte sich zu mir auf die Pritsche, legte vertraulich und beschützend zugleich seinen Arm um mich und redete besänftigend auf mich ein.
    »Kiek mal«, meinte er, »egal was dir im Kopf fehlt und warum du hier bist, wenn du überleben willst, dann musst du dich anpassen. Das ist sozusagen ein biologisches Naturgesetz. Die Harten werden gebrochen, nur die Weichen überstehen geschmeidig den Sturm. Es wäre also für dich sehr viel besser, wenn du auf mich hören und dich unauffällig in den Anstaltsalltag einordnen würdest.«
    Das klang vernünftig und ich nahm mir vor, seine Wortezu beherzigen. Doch als ich gerade Vertrauen zu ihm fassen wollte, zog er mich plötzlich an sich und begann mit fiebrigen Händen meinen Körper zu streicheln. »Du brauchst einen Freund hier drin, einen, auf den du dich verlassen kannst … verstehst du, einen Beschützer …«
    Immer intimer werdend blies er mir seinen heißen Atem in das
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