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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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Teil mit meiner Tat zusammenhing, zum anderen Teil mit seiner kaum zu übersehenden Begierde, endlich der alleinige Herr auf Gut Blankensee zu sein.
    Auch mein Versuch, mich aus der Kutsche zu stürzen, scheiterte. Man wickelte mich in eine Decke ein, setzte mich zwischen die beiden Sanitäter, sodass ich kein Glied mehr rühren konnte, und dann raste die Kutsche davon, ohne dass ich noch ein Wort des Abschieds empfangen oder sagen konnte.
    Es wurde Nacht, und als wir ankamen am Ort meiner Verbannung für die nächsten Jahre, schnürte die Angst mir die Kehle zu und mein Körper zitterte wie Espenlaub im Wind. Sie wickelten mich aus der Decke, und als sie mich über die Schwelle führten, wusste ich, dass ich verloren war.
     
    D
er Herr Professor ließ mich lange auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch sitzen, während er sein Monokel mit einem feinen weißen Tüchlein putzte. Dann klemmte er es wieder in seine linke Augenhöhle und starrte mich eine weitere schweigende Ewigkeit an. Sein Blick war durchdringend, ja fast entblößend, so als könnte er mir Haut und Fleisch vom Körper schälen, bis mein tiefstes Inneres nackt vor ihm lag. Er war ein Mann von mittlerer Statur und gewiss schon über fünfzig. Ein wilhelminischer Schnurrbart dominierte sein Gesicht und lenkte von dem schmallippigen Mund ab, der ihm, zusammen mit der eisgrauen Farbe seiner Augen, einen scharfen und verbitterten Zug gab. Kein Mann also, dem man als junges Mädchen in seelischer Krise leicht sein Herz öffnen und Zugang zu seinem Inneren gewähren mochte.
    Einem Menschen wie ihm war ich noch nie begegnet. In seiner Gegenwart kam ich mir klein, hilflos und völlig unbedeutend vor. Eine Erfahrung, die mir in meinem bisherigen Leben weitgehend erspart geblieben war, wenn ichmal von Onkel Hansmann und den mitunter sehr lieblosen Zurückweisungen meiner Mutter absah. Aber da hatte mich immer ein liebevoller Mensch aufgefangen, hier stand ich allein.
     
    Die Nacht hatte ich verängstigt in einem kahlen, weiß getünchten Raum ohne Fenster verbracht, der mit einer einzigen Metallliege und einem Eimer für die Notdurft ausgestattet war. In der eisernen Tür befand sich ein Guckloch und ich fühlte mich dadurch beobachtet und sogar im Schlaf ausspioniert. Eine nackte Glühbirne an der Decke leuchtete mit grellem Schein und ließ erbarmungslos entsetzliche Spuren von Verzweifelten an den Wänden aufscheinen, die sich vor mir in diesem Verlies an den Wänden die Finger blutig gekratzt oder die Köpfe eingerannt hatten. Ich fühlte ihre existenzielle Not, ihren Schmerz und Jammer wie den Geruch flüchtigen Äthers noch im Raum hängen.
    »Wir nehmen hier keine Verbrecher auf«, sagte der Professor. »Nur Kranke. Wir heilen die Krankheit der Seele.«
    Er fixierte mich scharf.
    »Du weißt, dass der Mensch eine Seele hat? Sie sitzt im Gehirn, das steckt in deinem Kopf. Die Seele ist elektrisch, nicht nur, aber sie hat mit Elektrizität zu tun. Das Gehirn durchlaufen ständig elektrische Ströme. Weißt du, wie Elektrizität funktioniert?«
    Ich nickte. »Mein Großvater Vanderborg baut elektrische Maschinen für das Varieté. Sie erzeugen wundersame Illusionen …«
    »Ganz richtig. Die Elektrizität in unserem Gehirn tut genau das. Und bei unseren Kranken auf ganz eigene, gestörte Art. Es glüht in ihrem Kopf, als ob ständig ein Feuerwerkaus Tausenden von Wunderkerzen darin abgebrannt würde. Manche nennen es Fantasie, wir wissen, dass es eine Störung ist, ein Zuviel an Energie, an falscher Energie. Wir nennen es Wahnsinn.«
    Ich starrte ihn an, wie er da saß, in seinem weißen, gestärkten Kittel und mich mit diesen kalten Augen durchdrang. Glaubte er, dass auch in meinem Kopf elektrische Ströme falsch gepolt flossen und darum Irrsinn produzierten?
    »Kennst du elektrisches Licht? Weißt du, was passiert, wenn eine Sicherung durchbrennt?«
    Natürlich wusste ich das.
    »Es wird dunkel.«
    Er nickte.
    »Richtig. Wir stehen noch ganz am Anfang der Erforschung des menschlichen Gehirns. Wir wissen, dass die Prozesse des Denkens durch Elektrizität gesteuert werden. Wir nehmen an, dass es elektrische Fehlschaltungen im Gehirn sind, die bei manchen Menschen, so auch bei dir, den Irrsinn hervorrufen. Darum erproben wir hier die Methode, mit Elektrizität den Wahnsinn zu kurieren.«
    Ich schwieg und er sah auf ein Blatt, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
    »Ich möchte diese neue Methode auch bei dir anwenden. Ich sagte schon, sie ist noch nicht
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